Denkmal oder Disneyland?

Der Streit um Wismars »Alte Schule« führt zu einer Parteispaltung

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Über die Frage einer Restaurierung des »Gotischen Viertels« in der Altstadt von Wismar hat sich die dortige SPD gespalten. Nun sind vier Sozialdemokraten aus der Partei ausgeschlossen worden – darunter auch ein Landtagsabgeordneter.

Ist es noch Denkmalpflege, ein vollständig verschwundenes historisches Gebäude wiederaufzubauen – oder bereits Disneyland? Den Berlinern ist diese Kontroverse aus dem Streit um das Stadtschloss gut bekannt.

Doch auch in Mecklenburg-Vorpommern und speziell in Wismar sorgt die denkmalpflegerische Gretchenfrage für massiven Streit. Und so war man beim Wismarer Freundeskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Mitte der Woche bereits froh darüber, dass die zum Thema »Denkmalpflege statt Attrappenkult« organisierte und gut besuchte Diskussionsveranstaltung mit dem früheren Berliner Kultursenator Thomas Flierl und der Professorin Gabi Dolff-Bönekämper in »sachlicher, konstruktiver Atmosphäre« über die Bühne gehen konnte.

Handfeste Lokalpolitik

Im Vorfeld hatten SPD und CDU gegen die Expertenveranstaltung Stimmung gemacht: Fälschlicherweise sei der Eindruck erweckt worden, es handle sich um eine Veranstaltung der Bürgerschaft. Tatsächlich aber waren Sozialdemokraten wie Christdemokraten gegen eine solche Diskussion. In Wismar ist die Attrappenfrage überdies nicht nur Gegenstand der geschichtspolitischen Kontroverse, ob eine solche Totalrekonstruktion nicht überholte Vorstellungen historischer »Identität« bedient. Es geht auch um handfeste Lokalpolitik. Unter anderen über die Frage nämlich, ob die im Jahr 1945 weitgehend zerstörte und später abgeräumte »Alte Schule« in der Altstadt nachgebaut werden soll, hat sich die lokale SPD-Fraktion gespalten.

SPD und CDU ohne Mehrheit

Pünktlich zur Diskussionsveranstaltung in dieser Woche hatte die Nordost-SPD den Ausschluss von gleich vier prominenten Parteimitgliedern bekräftigt, der in Wismar bereits im Herbst beschlossen worden war. Es trifft neben den Ratsherren und Ur-Sozialdemokraten Hans-Jürgen Leja und Michel Werner die Sozialrechtsprofessorin Sabine Mönch-Kalina, die 2008 sogar als mögliche Ministerin galt, und den langjährigen Stadtpräsidenten und Landtagsabgeordneten Gerd Zielenkiewitz.

Anders als andere SPD-Politiker sind die Abweichler gegen einen Nachbau der »Alten Schule«. Nicht zuletzt dieser Dissens führte 2010 zunächst zum Austritt der Vier aus der lokalen SPD-Fraktion und zur Gründung von »Für Wismar«. Schon länger hatten die Abweichler geklagt, dass die SPD-Verwaltungsspitze Fraktionszwang und Parteipolitik über Sachfragen stelle. Der Fall »Alte Schule« brachte das Fass wohl zum Überlaufen. »Wir hoffen, dass nun vor allen Dingen jüngere Menschen unseren Platz in der SPD einnehmen«, erklären die Abtrünnigen. Die Situation sei nicht genutzt worden, »die Gründe für unseren Fraktionsaustritt zu reflektieren und neue Wege der Zusammenarbeit zu entwickeln. Wie gewohnt wurden Fehler nur auf unserer Seite gesucht.«

Für Wismar bringt das Geschehen politische Verschiebungen: SPD und CDU, die bisher die Verwaltung stützten, haben keine Mehrheit mehr. Und zumindest in Sachen »Alte Schule« besteht ein ungewöhnliches Bündnis aus »Für Wismar«, der LINKEN, der FDP und einer gemischten grünen Liste.

Warten auf ein Leitbild

In Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin dagegen ist die dortige SPD/CDU-Landesregierung nicht auf die Stimme des SPD-Landtagsabgeordneten Gerd Zielenkiewitz angewiesen. Wahrscheinlich deshalb zeigte die SPD-Landtagsfraktion in dem Fall bisher keine Eile. Bislang gibt es keine Erklärung zu dem Fall. Zie-lenkiewitz wurde am Freitag weiterhin auf der Fraktions-Internetseite aufgeführt.

Was aber aus der Schule und dem Gotischen Viertel werden soll, will sich die Stadt bis zum Herbst überlegen. Dann soll ein Leitbild für die weitere Stadtrestaurierung vorgelegt werden.

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