Von der Energiefront nichts Neues
ZUR SEELE: Erkundungen mit Schmidbauer
Es gibt in Deutschland zur Zeit kaum einen Politiker, der sich nicht in die allgemeine Betroffenheit über die Katastrophe in den japanischen Atomkraftwerken einreiht. Es verwundert nicht, dass sich jetzt jene ärgern, die schon gegen die Atomindustrie kämpften, als das noch von eben diesen Politikern als weltferne Spinnerei, Technologiefeindschaft und Raub an einer sicheren Energieversorgung bekämpft wurden.
In anderen Ländern sind die Menschen nicht so zimperlich. In einer amerikanischen Zeitung habe ich eine heftige Polemik für die Atomindustrie gefunden, vorgetragen mit einem »humanitären« Argument: Die Todesopfer durch Atomkraftwerke seien auch nach Fukushima minimal, verglichen mit den Opfern brennender Bohrinseln und einstürzender Kohlegruben.
Unrecht wird nicht Recht, sobald wir es gegen anderes Unrecht aufrechnen. Aber der Gedanke über die Todesopfer an der Energiefront kann nachdenklich stimmen. Wenn gegenwärtig in Libyen, früher in Kuwait, in Irak und noch viel früher in Biafra Menschen sterben, hat das viel mit den Energiejunkies zu tun, welche die Industriestaaten hervorgebracht haben. Es ist ja bekannt, dass der geschickte Drogendealer den Kunden erst einmal anfixen muss – er gibt ihm den Stoff billig und verspricht ihm Glückseligkeit. Wenn der Kunde dann abhängig geworden ist, wird der Stoff plötzlich teuer, und der Kunde verspürt kein Glück mehr, sondern nur noch die Angst vor den Entzugserscheinungen, vor dem Versorgungsengpass.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Drittwelt-Diktatoren von der CIA so lange unterstützt werden, wie sie zuverlässig helfen, die Energiesucht der USA zu befriedigen. Und wie der Straßenjunkie in der Bronx dem Passanten mit vorgehaltenem Revolver Geld für Stoff abknöpft, so überlegt der mit allen Wassern der Demokratie gewaschene US-Senator, die Marines in arabische Länder zu schicken, sobald die Bürger dort ihre Erdölreserven einem Konzern wegnehmen wollen, der seine Förderrechte einem korrupten Fürsten verdankt.
Die Kommunisten haben es nicht besser gemacht. Sie haben vergessen, was Marx über die Übel der Ausbeutung der Natur sagt, haben auf Großindustrie gesetzt und die regenerativen Zyklen kleiner landwirtschaftlicher Betriebe oder nomadischer Völker nicht weniger schonungslos zerstört als der Westen. Unsere Lebensform, von der Mobilität bis zur Klimaanlage, vom Medienkonsum bis zur Straßenbeleuchtung und Heizung dominieren Energiejunkies, die sich panisch fürchten, weniger PS unter der Motorhaube und weniger Wärmegrade im Zimmer zu haben. Nicht weil sie das gerne tun und durchweg große Freude an Ölzentralheizungen und weit übermotorisierten Autos haben. Sondern weil es keine Alternativen gibt.
Eine Technokratie, die zuverlässig die nächsten zehntausend Jahre auf radioaktiven Müll aufpassen soll, war nicht in der Lage zu verhindern, dass die Bürger der Industriegesellschaften von einem schon jetzt instabilen Luxus abhängig wurden. Wir haben uns energiesüchtig machen lassen. Wir haben gedacht, das sei kein Problem. Die meisten, die es wissen hätten können, haben lieber ihre Profite eingesteckt, als uns die Wahrheit zu sagen.
Jetzt sitzen Rentner in Eigenheimen und Pendler in Autos, die so beschaffen sind, dass ihre Opfer mit Zähnen und Klauen um billige Energie kämpfen, weil sie anders gar nicht mehr über die Runden kommen. Wenn nur ein Zehntel der Anstrengungen, die Natur auszubeuten, sich darauf richten könnte, Natur und menschliche Lebensqualität zu versöhnen – wir würden längst in Ökotopia leben, wo kein Auto schneller fährt, als ihm Solarzelle und Windrad den Akku füllen, und wir Wohnungen durch unsere Körperwärme behaglich machen.
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