Das Drama der Flüchtlinge in Italien
Auf Lampedusa macht sich Verzweiflung breit
Silvio Berlusconi hatte versprochen, dass sich die Lage auf Lampedusa innerhalb weniger Stunden normalisieren werde. Aber immer noch kampieren Tausende Flüchtlinge unter freiem Himmel am Pier. Lebensmittel und Wasser sind auch für die Einheimischen knapp geworden und immer häufiger entlädt sich Verzweiflung in zerstörerischen Aktionen. Am Hafen wurde ein Wohnwagen angezündet, mindestens ein junger Tunesier versuchte bereits, sich das Leben zu nehmen. Dazu kommt die Angst um Freunde und Verwandte, die sich trotz starken Windes aufs Meer wagen: Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen hat bereits zwei Boote mit mehr als 400 Menschen an Bord als verschollen gemeldet.
Aber das Chaos hat längst auch andere Regionen erreicht. Auf Sizilien und in Apulien fliehen Tunesier aus den provisorischen Zeltlagern, die gegen den Willen der Lokalverwaltungen errichtet wurden. Von 3000 Menschen, die in das apulische Manduria gebracht wurden, sind 2500 bereits geflüchtet. Die Bevölkerung ist gespalten: Einige versuchen den Flüchtlingen zu helfen, Norditalien oder die französische Grenze zu erreichen. Andere machen vor den Augen der tatenlos zusehenden Polizei Jagd auf die jungen Männer und scheuchen sie in die Lager zurück.
Der juristische Status der Tunesier ist noch ungeklärt: Niemand weiß, ob sie Anrecht auf Asyl oder andere Schutzformen haben, die Erklärungen der Regierung sind schwammig. Klar ist, dass die meisten Flüchtlinge nach Frankreich wollen, wo viele Verwandte haben. So ist auch an der italienisch-französischen Grenze in Ventimiglia die Lage inzwischen prekär. Französische Beamten versuchen, ihre Einreise zu verhindern, Schleuserbanden nehmen bis zu 500 Euro für einen illegalen Grenzübertritt.
Italiens Regierung beschränkt sich im Großen und Ganzen auf Versprechungen – auch weil in der Koalition keine Einigkeit besteht. Während die Berlusconi-Partei »christliche Nächstenliebe« predigt, will die Lega Nord nur, dass die »Illegalen« wieder verschwinden. Ein Abgeordneter drohte Flüchtlingen »zur Abschreckung« sogar die chemische Kastration an.
Berlusconi will nun nach Tunis reisen, um die dortige Regierung daran zu erinnern, dass sich Tunesien vertraglich verpflichtet hat, die Küste zu überwachen und einer Rückführung der eigenen Staatsbürger zuzustimmen. Als »Anreiz« werde er auch 150 Millionen Euro in Aussicht stellen, um eine Wiedereingliederung der Flüchtlinge zu erleichtern.
In Tunis aber ist man anderer Ansicht: Wir haben kein Abkommen unterschrieben, heißt es dort. Außerdem erinnert man Italien daran, dass Tunesien selbst in den letzten Wochen 150 000 Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen hat. »Unser Volk hat sich ihrer trotz der schwierigen Lage im Land angenommen«, heißt es in einer Erklärung. Womit man offensichtlich andeuten will, dass ein so reiches Land wie Italien sich doch wohl um 22 000 Flüchtlinge kümmern kann.
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