Alarm in Norderfriedrichskoog
Das Steuerparadies an der Nordsee könnte bald Geschichte sein
Es seien mehr als nur Briefkästen und Firmenschilder, versichert Hans Kremer, Vorsitzender des Finanzausschusses von Norderfriedrichskoog, mit Blick auf die 350 im Ort gemeldeten Unternehmen. Zurzeit seien »so 30 bis 40 Angestellte beschäftigt«. Viele arbeiten für mehrere Firmen. Bis vor kurzem waren es noch 130. Doch die Unsicherheit darüber, ob die Gewerbesteuer auf dem gesetzlichen Minimum bleibt, hat bereits einen Exodus aus dem Steuerparadies an der Nordsee ausgelöst. »Die können jederzeit ihren Laptop einpacken und abziehen«, weiß Kremer. Produktionsanlagen gebe ja es ohnehin nicht.
500 Firmen auf 13 Höfen
Der Kreis Nordfriesland hat jetzt nämlich angeordnet, für Unternehmen den Hebesatz auf 310 Prozent zu erhöhen. Der Hebesatz ist eine variable Größe, mit dem Kommunen ihre Gewerbesteuereinnahmen anheben oder auch senken können. Durch seine Erhöhung wäre der Anreiz für die bundesweit angepilgerten Firmen dahin, mit ihren Niederlassungen in dem einsamen Kuhdorf zu bleiben. Gegen die Anordnung hat die Gemeinde nun Klage beim Verwaltungsgericht Schleswig eingereicht.
Früher gab es in Norderfriedrichskoog überhaupt keine Gewerbesteuer. Die Gemeinde finanzierte sich lange Zeit durch die Veräußerung ihrer Liegenschaften, bis diese ausverkauft waren. Außer zwei Haupt- und zwei Stichstraßen gab es nichts, was zu unterhalten war. Große Konzerne wie die Deutsche Bank, Lufthansa und Tschibo rannten den Bauern die Scheunentore ein, um ein Plätzchen für ein Büro zu ergattern. In der Blütezeit residierten bis zu 500 Unternehmen auf 13 Höfen. Doch dann schob der Bund dem allzu neoliberalen Treiben einen kleinen Riegel vor: Jede Gemeinde muss seit 2004 einen Hebesatz von mindestens 200 Prozent kassieren.
Daran hält sich auch Norderfriedrichskoog und erzielt dadurch zwischen fünf und sechs Millionen Euro im Jahr an Gewerbesteuereinnahmen. Aber die reichen nicht mehr aus. In dem dünn besiedelten Landstrich auf der Eiderhalbinsel ist vieles anders als anderswo. Die kleinen Dörfer mit jeweils nur ein paar Höfen können sich eine eigene Verwaltung nicht leisten. Deshalb haben sich 17 Gemeinden zu einem Amt Eiderstedt zusammengeschlossen. Und das muss von allen finanziert werden. Auch der Kreis und das Land Schleswig-Holstein verlangen eine Umlage aus den Gewerbesteuereinnahmen. Egal, wie hoch der Hebesatz einer Gemeinde tatsächlich liegt: die Umlage an das Amt, den Kreis und an das Land wird immer auf Grundlage eines 310-prozentigen Hebesatzes berechnet. Die einst blühende Steueroase wird deshalb bald Kredite in Millionenhöhe aufnehmen müssen, nur um die Umlagen zahlen und ihren Dumpingsatz subventionieren zu können.
Genau das will Landrat Dieter Harrsen mit seiner Anordnung verhindern. »Selbst wenn dann viele Unternehmen wegziehen würden, wäre der Schaden immer noch geringer, als wenn der Hebesatz bei 200 Prozent bliebe«, argumentiert er. Bislang konnte das Defizit zeitlich verschoben werden. Denn die Gemeinde muss die Umlagen immer erst eineinhalb Jahre später nach ihren eigenen Einnahmen entrichten. Jetzt droht dieses Schneeballsystem zu kippen. Deshalb fordert Norderfriedrichskoog vom Land, die einheitliche Bemessungsgrundlage von 310 Prozent aufzuheben und der Gemeinde freie Hand zu geben.
Entscheidung im Mai
Für Finanzsprecher Kremer geht es dabei nicht nur um die Steuereinnahmen, die dem gesamten nördlichen Land durch eine Unternehmensflucht verloren gingen, auch Arbeitsplätze seien in Gefahr – und die Einnahmen durch die Vermietung der vielen Büros: »Für jeden Landwirt ist das ein gutes Zubrot«, sagt Kremer. Für Mai rechnet er mit einer Entscheidung des Gerichts, ob der Eilantrag angenommen wird oder nicht. Bis dahin zumindest werden sich die 13 Höfe noch weiter als »Lichtenstein des Nordens« über ihren zweifelhaften Wettbewerbsvorteil erfreuen können.
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