Wurzel aus Zwei

Die Kunst der Aufklärung und der chinesische Künstler Ai Weiwei

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 7 Min.
Hochoffizielle administrative Prominenz wie Bundesaußenminister Westerwelle und Regierender Bürgermeister Wowereit kommt zur Eröffnung einer kleinen Galerieausstellung in einem winzigen Hinterhof in Berlin – das hat es noch nie gegeben. Und hätte es auch nicht, ginge es im Ganzen nicht um einen staats-diplomatischen Akt. Der hat eine Vorgeschichte. Die dreht sich im Kern um die ewige Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Macht.
Die Installation »Tree 2011«, »Rocks 2011« von Ai Weiwei bei Neugerriemschneider, Berlin
Die Installation »Tree 2011«, »Rocks 2011« von Ai Weiwei bei Neugerriemschneider, Berlin

Bei der Ausstellung handelt es sich um Werke des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, der zur Vernissage in der Galerie Neugerriemschneider am 29. April erwartet worden war, zum Beginn eines dreitägigen Gallery Weekends mit einigen Dutzend elitären Global Playern des Kunstmarkts und ihren großteils im Millionen-Euro-Bereich gehandelten Art-Celebritys. Doch die chinesische Obrigkeit hat Ai am 3. April verschwinden lassen, nicht einmal die Angehörigen bekamen ein Lebenszeichen von ihm, einige seiner Mitarbeiter wurden inzwischen verhört, einer ebenfalls verschleppt, auch sein Buchhalter, sein Fahrer.

Ais Festnahme geschah, kaum, dass Westerwelle mitsamt Tross der Generaldirektoren der drei größten deutschen Museen, in Peking die Ausstellung »Die Kunst der Aufklärung« eröffnet hatten. Eine »unverhohlene Brüskierung« der deutschen Seite, wie Deutschlands Kulturminister Bernd Neumann vor einer Woche während einer Solidaritätsveranstaltung der Akademie der Künste in braver Empörung erklärte. Es war ein zeitliches Zusammentreffen, ein kausaler Zusammenhang ist nicht direkt gegeben. Trotzdem: eine »Ohrfeige«.

Einige Tage nach der Nachricht vom Verschwinden des Künstlers war durchgesickert, Ai, den das »Time Magazine« jetzt in seine Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt auf Platz 13 wählte, würden möglicherweise – offenbar konstruierte – Wirtschaftsverbrechen und andere Übelkeiten zur Last gelegt werden. Diese Methode diktatorischer Regimes, politische Gegner mundtot zu machen, ist allzu bekannt.

In China hat es in den letzten Monaten geradezu eine Welle von Repressalien gegen die Aktivisten der sogenannten Jasmin-Revolution gegeben (mit deren Aufrufen, nach Aussage eines Freundes, Ai persönlich aber nichts zu tun habe). Der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo ist zu 11 Jahren Haft verurteilt. Für zehn Jahre ins Gefängnis musste soeben der Schriftsteller Liu Xianbin. Vom Schriftsteller Ye Du fehlt seit Februar jede Spur, ebenso wie vom Schriftsteller und Menschenrechtsanwalt Teng Biao, einer von mehreren prominenten Anwälten. Verschwundene, Verhaftete, Verurteilte – Salman Rushdie rief dieser Tage auf, für jene Mutigen, die »gegen Tyrannen die Wahrheit« sagen, die Stimme zu erheben.

Ai, der immer schon die Lunte am Schwanz der »Mafia«, wie er seine Regierung nannte, angesteckt hatte, war sich der Gefahr bewusst, in die er sich mit all seinen Herausforderungen des Tigers begeben hatte, er sagte in einem seiner letzten Interviews, dass er nach vielerart Schikanen, Drohungen bis hin zum Mordanschlag vor zwei Jahren längst mit seiner Verhaftung hatte rechnen müssen – und dass er Angst habe. Er hat sich nicht kaufen lassen, und die Ereignisse habe er kommen sehen, berichtet eine Mitarbeiterin Ais.

»Where is Ai Weiwei?«, und die Frage ist eine Aufforderung: Freiheit für Ai Weiwei. Schwarz auf Weiß steht sie auf einem Transparent, das an der Außenwand der Galerie mit Ais jüngsten Werken angebracht ist. Sie sagt, was alle fordern. Nicht zuletzt diejenigen, die das Internet als politische Plattform nutzen, wie Ai es getan hat, der unerschrocken Kämpferische für Freiheit der Kunst, Demokratie und Menschenrechte. Tausende Mikroblogger in China – wo die Jugend nicht mehr Zeitung liest, weil sie in ihnen nur Beschönigungs-, d.h. Lügenorgane sieht – bekunden sich mit Ai solidarisch.

Die Kunstinstallation in der Berliner Galerie, die Ai auch als Anlass für Gespräche nutzen wollte, lässt im Stile meditativer chinesischer Gärten seine Objekte aus Holz und Porzellan sprechen: »Tree«, zwei knorrige Bäume, recken ihre wuchtigen Äste mit zersplitterten Enden wie verzweifelt greifende Hände hoch unter die spitzwinklige Dachkonstruktion aus Stahl und Milchglas. Den Ästen ist von den glatten Scheiben der Blick zum klaren Himmel verwehrt, das Gestänge von Neonröhren bricht ihnen fast die Arme. Sie haben – ohne Blatt, ohne Rinde – das natürliche Wachsen eingestellt. Diese beiden fast sechs Meter hohen Bäume sind kein Ganzes, sondern fragmentiert in zwei Dutzend Teile, zerstückelt, zersägt und mit groben metallenen Schrauben – die schrecklichen Narben gleichen – zusammengehalten. Was einst mächtige Wurzeln waren – schmerzhaft amputiert halten sie kaum noch Kontakt zum schwarzen, glänzenden Asphaltboden.

Das Stückwerk – Fundholz aus der südchinesischen Bergregion – ist in der traditionellen chinesischen Stecktechnik zusammengesetzt, wie sie Ai auch bei jener Installation der von ihm bei Häuserabrissen geretteten Türen und Fenster aus der Ming- und Qing-Dynastie verwendete, auf der documenta vor vier Jahren. Der groteske Turm, Mahnmal gegen die menschenverachtende Pekinger Neubauwut, brach bei einem Unwetter zusammen. In Trümmern am Boden liegend, war das Ganze, so befand Ai, als Kunstwerk nun erst vollendet. Mit diesem zerstörten »Template«, so der Titel der Installation, wurde Ai den Deutschen ein Begriff.

Zu den zwei Bäumen im grellweißen Galeriekubus mit vergittertem Fenster gruppieren sich die »Rocks«, unregelmäßig geformte Körper aus weißem Porzellan, deren obere, wellige Konturenlinien von wasserblauen Unterglasurmalereien geziert sind. Es könnten Felssteine sein, mit ihren Plateaus zum Sitzen einladend, wie zum Beispiel die 1001 historischen Stühle es taten, die Ai 2007 ebenfalls mit zur documenta brachte, mitsamt 1001 Chinesen, die noch nie zuvor in ihrem Leben je ins Ausland gereist waren und zu Hause von ihren Erlebnissen in Kassel, der Stadt der Grimmschen Märchen, ihre modernen, selbsterfahrenen »Fairytales« (dt: Märchen) erzählen sollten. Hergestellt wurden die weich-schimmernden, da und dort rissigen Porzellaninselchen, die die Baumkraken umgeben, in Jingdezhen, der Wiege des chinesischen Kulturguts per se, des Porzellans.

Einfache Materialien, Holz und Porzellan, wie Ai sie in vielen seiner bildkünstlerischen Arbeiten verwendet. Hier bilden sie in spannungsvollem Arrangement ein tief berührendes, poetisches Werk. Damit spielt der Konzeptkünstler an auf Missachtung ehrwürdiger Tradition, Verlust des Kulturerbes, auf Vergewaltigung der Natur und zunehmende Entwurzelung der Gesellschaft, die blindlings nach technischem Fortschritt strebt. Man mag auch andere Bedeutungen assoziieren – weniger politisch werden sie, wie immer bei Ai, nicht sein.

China ist anders


Die Verhaftung Ai Weiweis, nach der Ausstellungseröffnung »Die Kunst der Aufklärung« als diplomatischer Affront empfunden, hat in Deutschland zur Forderung geführt, Druck auf die chinesische Seite auszuüben. Ob und wie, darüber ist ein Streit entflammt. Erfahrungen aus der Zeit des Kalten Kriegs werden aktiviert. Zu bedenken wäre jedoch in jedem Fall:

China ist anders. Ein Riesenreich, mit den größten Devisenreserven der Welt und den höchsten Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts. In diesen Monaten hat es zwar mehrere Tausend Massenkonflikte gegeben, aber nicht unbedingt wegen politischer Teilhabe, also Demokratie und damit Meinungsfreiheit. Überwiegend Bauern und Landarbeiter rebellierten wegen Enteignung, Umweltkatastrophen, Preiserhöhungen, Lohnforderungen. Ein Land, das in gewaltigen Umbrüchen steht und Freiheiten gewährt wie in seiner ganzen Geschichte nie zuvor, das aber an vor allem politischer Stabilität interessiert ist und sein muss. Das zum Programm gemacht hat, den Inlandskonsum zu stärken, insbesondere der immer mehr wachsenden Mittelschicht – dem Zünglein an der Waage – Wohlstand zu garantieren. Deren Protestpotenzial berechnet sich nach dem Sprichwort: »Die Hand, die einem Futter gibt, die beißt man nicht.« Mit 641 Milliarden Dollar pro Jahr wird derzeit ihre Kaufkraft beziffert.

Das westliche Konsumstreben hält Einzug. Westliche Lehrmeister hingegen werden allein dann gerufen – und schnell auch überholt –, wenn es zum Beispiel um den Autobau geht. Jeder dritte VW aus Wolfsburg fährt auf Chinas immer mehr werdenden Straßen. Dass Vertreter der deutschen Wirtschaft bei der Eröffnung der Aufklärungs-Ausstellung einen Journalisten wegen einer kritischen Frage ausbuhten, ist daher wenig verwunderlich. Schließlich ist die Schau auch BMW-Marketing-Kampagne.

»Strategische Partnerschaft« zwischen Deutschland und China, vor einem Dreivierteljahr von den beiden Regierungschefs unterschrieben, heißt wohl im Klartext: Wir kurbeln eure Wirtschaft an und halten damit unsere am Laufen, und der Kulturaustausch ist dabei das aufhübschende Beiwerk. Freiheit der Kunst allerdings, die halten wir hoch: bis in Höhe des Autoauspuffs.

Und wenn uns ob der Niedrigkeit das Gewissen plagt, stellen wir Kerzen ins Fenster, setzen uns auf Protest-Hocker und lassen uns einen Bart wachsen, der aussieht wie der von Ai Weiwei.


Der Kommunismus ist keine Blumenwiese, er wird nie eine werden. – Eine kommunistische Partei lässt sich bestimmt nicht durch freundliche Worte und Feingefühl beeindrucken, aber sie fürchtet nichts so sehr wie selbstbewusstes Auftreten. (Norbert Bisky, Maler, in der FAZ)

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