Hessischer Landtag mit brauner Vergangenheit

Studie: Zwischen 1946 und 1987 waren mindestens 75 Abgeordnete ehemalige NSDAP-Mitglieder

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 2 Min.
Auch 66 Jahre nach Ende des Hitlerfaschismus tut sich der Hessische Landtag mit einer Aufarbeitung der NS-Vergangenheit seiner Mitglieder schwer. Dies belegt eine im Auftrag der Linksfraktion erstellte Studie.

Das Papier mit dem Titel »Braunes Erbe – NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter der 1.-11. Legislaturperiode« hat im politischen Wiesbaden und in regionalen Medien Erstaunen und Nachdenklichkeit ausgelöst. Ihr Verfasser, der Historiker Hans-Peter Klausch, hatte biografische Daten aller Ex-Parlamentarier von 1946 bis 1987 zusammengetragen, die den Jahrgängen 1927 und älter angehörten. »Unter den in Frage kommenden 333 Abgeordneten waren statt der offiziell genannten drei Abgeordneten mindestens 75 Abgeordnete ehemalige NSDAP-Mitglieder«, so sein Fazit.

Ab 1946 tauchten ehemalige NSDAP-Mitglieder in allen Landtagsfraktionen mit Ausnahme der 1956 verbotenen KPD auf, so Kausch. Etliche Parlamentarier hatten eine regelrechte Nazi-Karriere hinter sich. Den Schwerpunkt bildeten hier neben der von 1966 bis 1970 bestehenden NPD-Fraktion die CDU und FDP. So lag von 1954 bis 1966 in der CDU-Fraktion der Anteil von Ex-NSDAP-Mitgliedern zwischen 25 und 35,7 Prozent, bei der FDP gar zwischen 60 und über 70 Prozent.

Anders als etwa der spätere Justizminister Karl-Heinz Koch (CDU) seien viele von ihnen keine verblendeten jungen Mitläufer in den letzten Kriegsjahren gewesen, sondern »schwer belastete Nazis«, die es unerkannt zu einem Ministeramt oder dem Vorsitz in Fraktion und Partei brachten. Daher müsse die Frage nach Kontinuitäten zwischen NS-Staat und Bundesrepublik auch in Hessen neu gestellt und das offizielle Geschichtsbild der Parteien hinterfragt werden, so Klausch.

Zu den »dicken Fischen«, deren NSDAP-Mitgliedschaft lange geheim gehalten wurde, gehört Alfred Dregger, langjähriger CDU-Landesvorsitzender und Ex-Chef der Landtags- und Bundestagsfraktion. Nach ihm hatte die Hessen-CDU 2010 ihre Landesgeschäftsstelle in Wiesbaden benannt. Dregger machte sich Ende der 1980er Jahre für die Freilassung des SS-Hauptsturmführers Ferdinand Hugo aus der Fünten stark, der für die Deportation von mehr als 100 000 Juden verantwortlich war. Justizpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion von 1962 bis 1966 war Heinz Wolf, der Ankläger beim Sondergericht Danzig und damit vermutlich für zahlreiche Todesurteile mitverantwortlich war.

In der FDP springt der ehemalige SS-Standartenführer Erich Mix ins Auge, Fraktionschef und Landtagsvizepräsident. Er war von 1937 bis 1945 und wieder von 1954 bis 1960 Oberbürgermeister in Wiesbaden und ab 1939 Mitglied der NSDAP-Gauleitung Hessen-Nassau. In der Hessen-SPD konnte Tassilo Tröscher, ehemaliger Referent im Reichskuratorium für Technik in der Landwirtschaft, Landwirtschaftsminister werden.

Eine neue Debatte und ehrliche Aufarbeitung der neuen Erkenntnisse über die NS-Vergangenheit fordert Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der hessischen Linksfraktion. Schließlich sei nicht ausgeschlossen, dass auch in hessischen Behörden und der Justiz alte Nazis auftauchen könnten.

Während die Hessen-CDU die Kausch-Studie als »plumpes Ablenkungsmanöver« bezeichnete, begrüßte die SPD-Abgeordnete Andrea Ypsilanti eine lückenlose Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ehemaliger Landtagsabgeordneter als »richtig und überfällig«.

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