Frieden geht durch den Magen

Ein Projekt zur Ernährungssicherheit hat verfeindete Gruppen auf Mindanao versöhnt

  • Michael Lenz, Mindanao
  • Lesedauer: 4 Min.
Mindanao, die zweitgrößte Insel der Philippinen, ist seit Jahrzehnten Schauplatz eines bewaffneten Konflikts. Doch nun sorgt ein Projekt für Ernährungssicherheit für Frieden zwischen einst verfeindeten Völkern.
MNLF-Kämpfer am Strand von Kanipan
MNLF-Kämpfer am Strand von Kanipan

Anabelle Hutalla hat auftischen lassen. Rotbarbe frisch aus dem Meer mit süßsaurer Soße, in einer Marinade aus Kokos und Trockenfisch gekochtes Rattan, Hühnchen als Suppe und gegrillt, dazu ein lauwarmes Farngemüse, rohe Gurken und Reis aus eigenem organischen Anbau. »Es kommen nicht viele Ausländer her«, sagt die fröhliche Frau.

Die Menschen im Dorf Kanipan im Verwaltungsbezirk Palimbang sind Reisbauern und Fischer. Die Insel im Süden der Philippinen, so groß wie Bayern und Hessen zusammen, ist seit Jahrzehnten Schauplatz eines Konflikts zwischen der philippinische Armee und muslimischen Rebellen, die einen unabhängigen Muslimstaat auf Mindanao fordern.

Die Verhältnisse in dem mehrheitlich von Muslimen und einigen Christen bewohnten Kanipan sind nicht so opulent wie das Mittagessen. Das Dorf in der fruchtbaren Küstenebene mit Reisenfeldern, Bananenplantagen und Kokospalmhainen könnte wohlhabend sein, wäre da nicht der Krieg. Die Dörfer sind von der Außenwelt weitgehend isoliert, die wirtschaftliche Entwicklung stagniert, die verfeindeten Gruppen begegnen sich mit Misstrauen.

Mindanao ist seit Jahrhunderten Heimat der muslimischen Bangsamoros, oder kurz Moros. Mit einem Bevölkerungsanteil von 30 Prozent sind sie durch die Ansiedlung von Christen aus anderen Teilen der Philippinen zur Minderheit geworden. Die mächtigen Familienclans hatten ihr Auge auf Gold und Silber, Mangan und Eisenerz sowie auf Tropenwaldhölzer und den fruchtbaren Boden geworfen. Die Lumad, die Ureinwohner Mindanaos, und die Muslime kannten keine verbrieften Landrechte. Das nutzten die philippinischen Behörden, um das Land für die Siedler in Besitz zu nehmen. Als Reaktion auf ihre Entrechtung und Unterdrückung – vor allem während der Diktatur unter Präsident Ferdinand Marcos – begannen Moro-Rebellen Anfang der 1970er Jahre den bewaffneten Kampf für einen unabhängigen Moro-Staat. Ein 1996 geschlossener Friedensvertrag mit der Moro National Liberation Front (MNLF) führte zur Gründung der Autonomen Region im muslimischen Mindanao (ARMM). Aber die Moro Islamic Liberation Front (MILF), eine Abspaltung der MNLF, kämpfte weiter. Seit Februar führt sie mit der Regierung Friedensverhandlungen.

Am reich gedeckten Mittagstisch im »technischen Zentrum« der Hilfsorganisation Pasali sitzen die Katholikin Hutalla, der Muslim Mokamad Q. Kusain und Alvaro Casuga, ein Lumad. »Obwohl wir hier zusammenleben, hatten wir früher kaum Kontakt«, sagt Kusain, während seine Hand auf dem Knie des protestantischen Casuga liegt. Casuga ergänzt: »Über die Muslime gab es viele Gerüchte, von denen wir nun wissen, dass sie falsch waren.«

Initialzündung für das Miteinander war die Arbeit der von philippinischen Emigranten in Holland gegründete Hilfsorganisation Pasali. Ihr Ansatz: Ernährungssicherheit schafft Frieden. Pasali hat den Bauern in Kanipan und anderen Dörfern eine effektivere Methode des Reisanbaus beigebracht, ohne chemischen Dünger und Unkrautvernichtungsmittel.

Die einzige Bedingung des finanziell vom deutschen Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) unterstützten Projekts lautet: Zusammenschluss zu einer »Tri-People Kooperative«. Die Ernteerträge verdoppelten sich, die Kosten der Bewirtschaftung der Felder sanken. Christen, Muslime und Lumad reden, arbeiten und feiern gar inzwischen zusammen.

Dass jedoch der auf den Philippinen erhoffte Frieden nicht mit Entwicklung und Wohlstand für die Bevölkerung einhergeht, lässt sich in der ARMM erleben. Von dem von der Regierung in Manila zugewiesenen Budget kommen etwa 20 Prozent in der armen Region an. Der Rest verschwindet in den Taschen korrupter Politiker und raffgieriger, feudalistischer muslimischer Clans.

Die gut ausgebaute Straße aus dem 160 Kilometer entfernten General Santos City endet etwa 30 Kilometer vor dem Dorf. An das Stromnetz sind die Dörfer nicht angeschlossen. Versorgung mit sauberem Wasser ist problematisch, das nächste Krankenhaus ist weit, die Schulen marode. Durch das Miteinander ist den Gruppen bewusst geworden, wie sehr sie unter Unterentwicklung und Korruption leiden und es in dem Konflikt nicht um Religion, sondern um soziale und wirtschaftliche Rechte geht.

Zudem lehnen sie alle die internationalen Bergbaumultis ab. »Der Bergbau bringt nur Arbeitsplätze für wenige. Aber er zerstört unsere Umwelt und damit die Lebensgrundlage vieler«, sagt Kusain. »Wir wollen unser Leben als Bauern nicht aufgeben. Wir brauchen eine bessere technische Ausrüstung. Dann könnten wir drei, statt zwei Reisernten pro Jahr erzielen.«

Schon jetzt sind die Menschen in Kanipan stolz auf das, was sie in nur zwei Jahren erreicht haben. »Nachbarbezirke wollen unser Tri-People-Model kopieren«, erzählt Hutalla. Nicht nur Liebe geht durch den Magen.

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