Mythos trifft Lokalpolitik
Theatertreffen Berlin: Elfriede Jelineks »Das Werk/ Im Bus/ Der Sturz«
Im vergangenen Jahr waren ihre »Kontrakte des Kaufmanns« vom Thalia Theater Hamburg zum Theatertreffen eingeladen: Da ging es ums Geld und was es mit uns macht, wenn es sich von uns verabschiedet und eigene Wege geht. Da lief dann links unten am Bühnenrand eine Leuchtschrift mit, auf der die Textseiten gezählt wurden. Am Start lagen 99 Seiten vor uns, nach knapp vier Stunden war die letzte Seite erreicht. Diesmal dauert es nur dreieinhalb Stunden, dann ist Karin Beier mit ihrer Inszenierung vom Schauspiel Köln am Ziel: drei Stücke immerhin geschafft – »Das Werk/ Im Bus/ Ein Sturz«. Seit ihren Sportstücken provoziert die Jelinek immer neu Rekorde, türmen sich die Satzberge zu stolzen Gipfeln, die ihre Bezwinger erst noch suchen.
Der Mensch im Kampf mit der Natur, ein Prometheus, der die totale Mobilmachung probt und die Erde durchlöchert, nur um U-Bahnen und anderes zu bauen. Am Ende sind wir in Köln, wo vor nicht langer Zeit das Stadtarchiv einstürzte. Am Anfang sind wir in München, da fiel 1994 ein Linienbus in ein zehn Meter tiefes Loch. Plötzlich versank der Bus mitsamt der Straße. Ist das nun die Strafe der Natur für die Art, wie der Mensch sie ausbeutet?
Mehr noch, Jelinek nimmt den lokalpolitischen Anlass um in »Ein Sturz« einen großen Mythos vom Kampf des Wassers mit der Erde zu dichten: »Nicht haben gebaut wir den Schutzwall vor euch. Ja, kommt nur alle her! Reichtum dem, der, von Glück satt, tretend umstößt des heiligen Rechts Altar, vor der Vernichtung, die keiner spürt. Wer spürt der Erde Sehnen nach dem Stärkeren? Nach dem Wasser? Wer spürt das denn? Nein, die Stadt gibt, die Stadt gibt freigiebig, sie gibt und gibt. Reichtum denen, die zuständig sind, Reichtum den Firmen allen, ja, denen zuerst, den Herrschenden immer zuerst, ist ja klar, sonst senden sie vom Himmel den Kälteschauer, und dann ist Baustopp in diesem Biotop.«
Dieser leicht prätentiöse Wortschwall ergießt sich nun Stunde um Stunde. Wer sagt, das klinge wie ein Potpourri aus Hamsuns »Segen der Erde« und Schillers »Glocke«, umgedichtet für die Gartenlaube, allerdings mit strukturalistischem Alibi – der muss wissen, er macht sich (nach dem Nobelpreis) eines Sakrilegs schuldig.
Das Publikum lechzt nach dieser Art Pathos, diesem Sprachzuckerguss in aufklärerischer Absicht. Jubel im Feuilleton und beim Publikum. Bloß keine Pause lassen, die Sätze fließen und fließen, und damit wir es auch wirklich verstehen, werden die meisten von ihnen dreimal wiederholt, mindestens.
Oh, das böse Wasser, das die gute Erde verschluckt! Und wer ist schuldig? Der Mensch in Gestalt einer Baufirma und die Bank, die ihr das Geld gab und die Stadtverwaltung, die schlief. So geht ein Sturzbach der Worte nach dem anderen über uns nieder, wir ersaufen noch in all den Buchstaben, Assoziationsketten, Kalauern mit Bedeutung – und der Mensch pumpt und pumpt gegen das Unheil an, »mit gepumpten Geld, alles auf Pump, alles auf Pumpe, jetzt pumpt uns keiner mehr was«.
Die Schauspieler, diesen Textmutanten ausgeliefert, machen ihre Sache gut: Wie spielt man einen wie aus einem gebrochenen Wasserrohr stetig herausschießenden Text, wie stoppt man diese wässrige Blutung? Indem man sie unterspielt, mit Ironie und Sarkasmus unterspült, wie es Elfriede Jelinek mit einer Beimischung von Ernst Jandl unweigerlich assozieren würde – dafür sind Susanne Barth, Lina Beckmann, Rosemary Hardy, Thomas Loibl und Michael Weber zweifellos die richtige Besetzung.
Die Penetranz der Jelinekschen Wortzurichtung, alle ihre Manieriertheit – sie braucht einen Spielplatz, um auszunüchtern. Und den hat Johannes Schütz gebaut, technisch karg, Bürorudiment zu Gerüstfragment gestellt – für die Art, wie es Karin Beier in hohem Tempo inszeniert, funktioniert das durchaus. Ein echter Höhepunkt ist dann der Auftritt der Kölner »Zauberflöten«, einem Schwulenchor, der in weißen Unterhemden aufmarschiert und mit Kraft wie Präzision an die Schleefschen Sternstunden chorischen Sprechens erinnert.
Ein weiteres Bauwerk Jelinekscher Wortauftürmerei, ein interessantes Experiment allemal, wenn auch (wohl durchaus bewusst) auf Treibsand gebaut, wäre hier nun zu besichtigen – gäbe es nicht jenen dritten Teil »Ein Sturz«, daran sich die Geister so scheiden.
Es ist ein mythischer Kulminationspunkt: der Verzweiflungstanz, nein: Kampf, eher noch Krampf der malträtierten Erde mit dem Wasser. Kathrin Wehlisch soll diese Erde verkörpern, muss lehmverschmiert in das auf dem Bühnenboden ständig steigende Wasser hineintauchen, um aus einem Wasserloch – das ein Swimmingpool sein könnte, müsste es nicht als böses Gleichnis dienen – wieder aufzutauchen. Das scheint allerdings unbeholfen, bis zur Peinlichkeit hilflos ins Bild gebracht.
Im starken Schlussapplaus, mitten auf dem Meer des Jubels treibend, klammere ich mich an meine Skepsis wie an einen Rettungsring.
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