Die Sache mit der Seele
Universität München bildet Studenten in palliativmedizinischer Betreuung aus
»Wer sterbenskrank ist, braucht nicht nur körperliche, sondern auch psychosoziale Hilfe.« So kann man es in den internationalen Regeln der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur palliativmedizinischen Betreuung nachlesen. Doch wie hilft man der Seele in schwerer Stunde? Wo setzt man an, wenn die moderne Medizin und das ärztliche Selbstverständnis zu heilen an ihre Grenzen stoßen?
Eckhard Frick und Traugott Roser sind die ersten Professoren für »Spiritual Care« in Deutschland, für sie steht fest: Medizin und Spiritualität sind nie ganz zu trennen. In Seminaren und auf Fortbildungen unterrichtet der Professor seine Studenten in der noch jungen Disziplin »Spiritual Care«. Erst zum Sommersemester 2010 hatten der Jesuit und der evangelische Pfarrer einen Ruf an die Münchner LMU für diesen neuen Fachbereich erhalten. »Das hat nichts mit esoterischem Zauber zu tun«, erklärt der dynamisch wirkende Jesuit Frick, der zusätzlich eine Professur in Medizin und Philosophie innehat.
So einzigartig wie das Projekt bisher europaweit ist, setzt sich auch das Team zusammen, das insgesamt vier Professuren vertritt. Neben »Spiritual Care« und einer Professur für soziale Arbeit zählen je ein Professor für Kinder- und Erwachsenenpalliativmedizin zum Kollegium des Lehrstuhlinhabers für Palliativmedizin, Gian Domenico Borasio. Entscheidend ist dabei die fächerübergreifende Kapazität der Mannschaft, die aus zwei Ärzten und einer Sozialarbeiterin besteht sowie dem evangelischen Pfarrer Roser und dem Jesuiten Frick, die sich gemeinsam eine Professorenstelle teilen.
Als eine der ersten Universitäten Deutschlands hatte die Münchner LMU bereits 2004 die Palliativmedizin in den Rang eines Pflichtfachs erhoben. Lange vor der Einführung der Spiritual-Care-Professur waren Frick und Roser mithin in dem Fachbereich schon lehrend im Einsatz. Bereits im sechsten Semester werden die Studenten im Palliativseminar 1 erstmals innerhalb ihres Medizinstudiums in Themen um psychosoziale Aspekte wie Trauer oder Spiritualität eingeführt. Zur Vertiefung stehen Diskussionen, Rollenspiele und Gruppenarbeit auf dem Plan. Ganz bewusst setzt Lehrstuhlinhaber Borasio im ersten Palliativseminar ausschließlich Psychotherapeuten, Sozialarbeiter oder auch Pfleger an Stelle der Mediziner ein. Die kommen im Palliativseminar 2 während des neunten Semesters zum Zug, wenn Schmerz- und Symptomkontrolle bei sterbenskranken Patienten unterrichtet wird.
Mitnichten begrüßen alle Schulmediziner die Lehre um die Spiritualität. »Einige betrachten uns mit Skepsis«, bedauert Frick. Als Orchideen-Disziplin werde der Fachbereich mitunter bezeichnet, die überflüssig und teuer sei. Für die Seele seien die Krankenhausseelsorger zuständig. Damit fühlen sich Frick und Roser jedoch falsch verstanden. Ihr Gebiet »Spiritual Care« bringe schließlich keine Konfession in die Krankenhäuser, sondern den interdisziplinären Austausch mit den Ärzten, wenn es darum geht, die Behandlung im Sinne des Patienten zu verbessern. Ganz entschieden will Frick Spiritualität und Religion getrennt sehen: »Spiritualität geht weit über Religion hinaus«, betont er und holt etwas weiter aus: »Der Mensch besteht aus seinem Körper plus x«, so der Professor. Das x stehe dabei für Seele, vielleicht auch Geist oder Spirit oder was immer an Begriffen andere Völker verwenden. Als Spiritual-Care-Beauftragter versuche Frick, den richtigen Umgang mit dem x in der Medizin zu finden und die Studenten damit vertraut zu machen. Da mangele es oft schon an der Zwischenmenschlichkeit. Auch junge Ärzte hätten da häufig erschreckende Defizite. Besonders im Umgang mit sterbenskranken Patienten, wenn die Grenzen der klassischen Medizin schnell erreicht sind, zählt die Zwischenmenschlichkeit. Da helfen keine Allerweltsfloskeln, sondern die eine angemessene Unterstützung für die Seele ist hier gefragt. Und das will gelernt sein.
Mit der Professur Spiritual Care, die Eckhard Frick und Traugott Roser gemeinsam ausfüllen, entspricht die LMU als erste Universität Europas den Kriterien der WHO. Damit hat die Münchner Fakultät Vorbildcharakter für andere Universitäten, die ihre Studenten auf eine ideale palliativmedizinische Betreuung sterbenskranker Patienten vorbereiten möchten, ganz im Sinne von Traugott Roser und Eckhard Frick.
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