Klein-Versailles und wie weiter?

Schloss Friedrichswerth – Schmuckstück sucht Nutzer

  • Lesedauer: 9 Min.
Schlösser in der DDR, ihre Geschichte und Ihre Geschichten dazu - wir haben Sie um Ihre Erlebnisse gebeten und über 70 Zuschriften erhalten. Danke! Unsere Autorin Burga Kalinowski ist den Spuren gefolgt. Heute Teil 1 unserer dreiteiligen Schlossgeschichten.
Vor verschlossenem Tor: Jörg Möller
Vor verschlossenem Tor: Jörg Möller

Unkraut blüht in der Auffahrt. Am Geländer wuchert wilder Wein. Aus bröckelnder Mauer wachsen grüne Triebe, und vom Holunder weht ein süßer Duft.

Leider ist das Schloss verrammelt. Geschlossen und verriegelt thront die barocke Hinterlassenschaft eines Herzogs inmitten des kleines Dorfes.

Unter dem Stichwort Schloss Friedrichswerth liefert das Internet ein im Auftrag des Landes Thüringen formuliertes Angebot einer Immoblienfirma. Zu lesen ist da zum Beispiel:

Im Jahre 1677 beauftragte der Gothaer Herzog Friedrich I. seinen Baumeister Jeremias Tütleb mit dem Bau eines repräsentativen Landschlosses. Es wurde auf dem Platz der zuvor geschleiften Wasserburg Erffa erbaut. Der Bau wurde 1689 vollendet und von der herzoglichen Familie als Lustschloss und Sommerresidenz genutzt. Das Schloss diente in den Folgejahren den Gothaer Herzögen als Sommerwohnung und war Mittelpunkt glanzvoller Feste. Unter Herzog Friedrich III. gründete sich hier der Einsiedlerorden – ein elitärer Club. Während des Siebenjährigen Krieges wurde das Schloss aus Furcht vor Plünderungen weitgehend ausgeräumt und geriet in Vergessenheit. Knapp 100 Jahre später, 1855, übernahm das Land Thüringen das Schloss, in dem nun das Amtsgericht Wangenheim bis 1924 seinen Sitz erhielt. Ab 1923 folgten unterschiedliche Nutzungen, unter anderem als Wohnräume. Im letzten Kriegsjahr wurden der Fundus des Gothaer Staatstheaters, Bibliotheksbestände und andere Kunstgegenstände eingelagert. Das Schloss kam ohne Kriegsschäden davon und wurde ab 1947 als Jugendwerkhof genutzt. In den ersten 10 Jahren wohnten über 1200 Mädchen und Jungen im Denkmal. Knapp 5 Millionen Mark wurden investiert, um die herzogliche Sommerresidenz zweckgemäß umzubauen. Bis 1960 lebten hier vorwiegend verhaltensauffällige Jugendliche, Schulschwänzer, kriminell gewordene Jungen und Mädchen, ab 1960 kamen lernbehinderte und verhaltensauffällige Jugendliche dazu. Diese Einrichtung der Volksbildung der DDR wurde 1990 abgewickelt, die Mitarbeiter von einem Freien Träger übernommen. Seidem steht das Schloss nun wieder leer und einfach nur da.

Aus seinem Fenster sieht Jörg Möller jeden Tag auf die Anlage. Er ist Nachbar. Er kümmert sich: »Aus Verantwortung – als Vorsitzender des Heimatvereins, als neuer Bürgermeister von Friedrichswerth. Sehen Sie, wir müssen alle pendeln. Keine Arbeit hier. Früher haben über 90 Leute im Jugendwerkhof gearbeitet, heute keiner mehr. Und wenn da wieder eine Nutzung wäre ... es ist ja nicht nur, dass das Gebäude erhalten wird – der Stuck an den Decken kommt wieder zum Tragen, der Park wächst wieder wunderschön – es gibt Arbeit. Der Ort hätte eine Perspektive. Das ist natürlich auch eine schwere Sache.« Das kann man so sagen.

Jörg Möller ist nicht nur im Heimatverein, er ist im Vorstand des Trachtenverbandes Thüringen und nun auch in eine Kulturkommission auf Landesebene delegiert worden. Ein Hans Dampf. Außerdem ist er Lehrer am Staatlichen Förderzentrum in Gotha und ehrenamtlicher Bürgermeister von Friedrichswerth, aufgestellt von der LINKEN und für alle Bürger unterwegs. In einer Pause zwischen Heimkommen und Bürgersprechstunde zeigt er mir einen Ordner in Sachen Schloss. Briefe, Bitten, Bürokratie.

An wen alles hat er nicht schon geschrieben. An Wolfgang Voß, den Landesfinanzminister, an Christoph Matschie, den Kultusminister, Wolfgang Niedecken, Musiker und BAP-Gründer wurde eingeladen, ein Arzt in Leipzig erhielt Post von Möller, an den Bundespräsidenten Wulff erging eine liebenswürdige Einladung (siehe Kasten). Kaum einer hat geantwortet, obwohl es um Kultur geht, um Werte wie Arbeit, um Tradition. Am Ende dreht sich wahrscheinlich alles ausschließlich um Geld. Der Rest ist gut für Sonntagsreden. Ein bissel Angst hat er schon, der Herr Möller, dass es »seinem« Schloss so ergeht wie dem Schloß Reinhardsbrunn bei Friedrichroda, ganz in der Nähe. Da kam ein Engländer, kaufte das intakte Schloss für einen Euro, wollte es für zwei Millionen weiterverkaufen. Das klappte nicht. Seit Jahren verfällt das Schloss nun. »Eine Katastrophe.« Jörg Möller fragt sich, was die Denkmalschutzbehörde dazu sagt.

Mittlerweile wird der Erhaltungszustand von Schloss Friedrichswerth als sanierungsbedürftig eingestuft.

Die Wohnfläche beträgt etwa 8686, die Grundstücksfläche 48 670 Quadratmeter. Ach ja, der Kaufpreis noch: 595 000 Euro. Ein Schnäppchen gewissermaßen. Doch keiner will es haben.

Das macht Jörg Möller Sorgen. Er seufzt, hebt die Schultern, rollt mit den Augen. Soll heißen: Ein Elend, keine ernsthaften Interessenten, durch Leerstand wird der Bau auch nicht besser. Erhalt durch Nutzung wie in der DDR wäre der bessere Weg. Zum Glück ist er nicht der Eigentümer, der ist das Land Thüringen. Aber er ist der Bürgermeister des Dorfes, das seinen Namen von des Herzogs Huld hat: »Friederico wertha« – dem Friedrich lieb und teuer. Es sollte damals das Klein-Versailles von Thüringen werden. Alte Pläne belegen Pracht und Pomp nach der Art des Sonnenkönigs und weitere Ausdehnung des höfischen Parkes. Bis nach Haina wollte man lustwandeln – ungefähr drei Kilometer, die Damen im Reifrock und mit Fächerträgern. Oder doch besser mit einer Sänfte. Jörg Möller hat den Plan vor Augen, kennt die Zeichnungen, kann sich die Bilder vorstellen. Das Schloss und dessen Geschichte sind seine liebste Nebenbeschäftigung.

Man muss sich die Fragen genau überlegen – die Antwort könnte ein langer Vortrag sein über Vergangenheit und Gegenwart. Ich frage: Ist das Schloss noch original erhalten? Seine Antwort führt in das Jahr 1947. Die Landesregierung Thüringen verfügt, das Schloss für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen zu nutzen, die durch Krieg und Nachkriegszeit aus der Bahn geworfen wurden. Die ihre Eltern verloren hatten und oft auch die Bereitschaft, nach Regeln zu leben, die längst ausgehöhlt waren. Die Hunger hatten und denen es egal war, wie sie zu Brot kamen oder zu anderen Dingen des Lebens. Sie hatten kein Zuhause und brauchten doch ein Heim, auch wenn es dort sehr diszipliniert, fast militärisch zuging. Strukturorientierter Tagesablauf. Kein Paradies, naürlich nicht, aber eine Startbahn. Über 90 Prozent aller Jugendlichen verließen den Jugendwerkhof mit einem Berufsabschluss und wurden in Arbeit vermittelt.

Gab es zwischen Jugendwerkhof und dem Ort Kontakte?

»Mit den Jahren wurden es immer mehr Friedrichswerther, die entweder als Lehrausbilder, als technischer Mitarbeiter, als Lehrer oder Erzieher dort gearbeitet haben. Und mit der Zeit bauten sich natürlich dann auch die Konflikte ab, also das war so ein Miteinander, ein Geben und Nehmen.«

Die Jugendlichen gehörten zum Dorf?

»Ja. Wir waren damals nicht 570 Einwohner, wir waren 720, glaube ich. Die 100, 120, 140 Jugendlichen zählten mit und waren natürlich auch in bestimmte Dorfaktionen integriert, als zum Beispiel in den 70er Jahren die ehemalige Kaufhalle gebaut worden ist, da wurden Einsätze mitgefahren, oder bei der Gaststätte, da haben sie auch mitgeholfen. Sie machten mit bei Festen wie Fasching oder eben auch dem 1. Mai-Umzug. Also die Verflechtung wurde immer enger.«

Spielte das eine Rolle, dass sie in einem Schloss lebten?

»Tja. Ich habe jedenfalls Diavorträge gehalten. Schlossgeschichte erzählt. Also so ein bisschen die Kultur und Geschichte, Tradition eben. Das war damals auch schon mein Steckenpferd. Das hing natürlich von den Leuten ab. Ich habe immer gesagt: Ihr wohnt in einem Schloss, das ist ein Denkmal, das kann man auch pflegen. Bei dem einen ist es mehr angekommen, bei dem anderen weniger.« Die ersten Bewohner im Jahr 1947 hatten andere Interessen und Bedürfnisse. Es waren zwei Jungen und der Heimleiter. Nach drei Wochen lebten schon 20 Jungen im Schloss. Kunst und Denkmalschutz hatten nichts mit ihrem Alltag zu tun. Für das Motto der früheren adligen Schlossbesitzer »Vive la joie« – Es lebe die Freude – hatten sie wenig Anlässe. Es gab kein Licht, kein Wasser, nur fünf Quadratmeter verglaste Fenster, es war kalt und die Verpflegung denkbar schlecht, meistens kam Krautsuppe auf den Tisch. Das Heim war noch lange kein Heim. Es war der Anfang nach dem Ende, und er trug eine kleine Hoffnung in sich.

Wie war noch mal die Frage?

Ist das Schloss noch original erhalten? Sein Thema wird zum Frage-Antwort- Spiel. Jörg Möller nimmt sich Zeit dafür, auch wenn er keine hat.

»Erst einmal wurden ja die gesamten Räumlichkeiten im Schloss genutzt als Unterrichtsräume, Kulturraum, Speisesaal, Schlafräume und, und, und ... teilweise auch als Werkstätten für die Berufsausbildung. Leider wurde dabei die ehemalige Schlosskapelle rigoros kaputtgemacht, nur die Stuckdecke ist noch erhalten. Orgel raus, Altar raus, alles raus. Das hätte erhalten werden müssen. Das war natürlich Frevel an Kulturgut, auch 1947 gab es Denkmalpflege in den damaligen Ländern. Aber Gebäude, Gemälde und Fresken sind erhalten geblieben.«

Was wurde für den Denkmalschutz getan?

»In den 50er, 60er Jahren wurden einige Arbeiten zum Erhalt des Mauerwerks und zur statischen Stabilität durchgeführt. Aus denkmalpflegerischer Sicht wurden 1987 der gesamte mittlere Risalit von einer Fachfirma überarbeitet, neue Sandsteine eingebaut und die ganze Außenansicht wieder so hergestellt, wie sie vorher war. Und die gesamte Stuckdecke im ehemaligen Schlossbereich – was zu DDR-Zeiten im Jugendwerkhof der Festsaal war –, die wurde 1987 für immenses Geld, ich glaube 240 000 DDR-Mark, denkmalpflegerisch erneuert und vollständig saniert. Nach der Wende wurden 1995/96 das gesamte Dach neu gemacht und die Gauben wieder hergerichtet.«

Jörg Möller macht eine effektvolle Pause. Dann: »Die Schlossanlage ist heute so wie vor 321 Jahren.« Prof. Schütte von der Marburger Philipps-Universität habe zu ihm gesagt: Herr Möller, passen Sie auf auf das Schloss Friedrichswerth, das ist einmalig, alles original erhalten.

Jörg Möller will, dass es so bleibt.


Sehr geehrter Herr Bundespräsident Christian Wulff,

aus unserer Regionalzeitung habe ich erfahren, dass Sie das barocke Universum in Gotha besuchen möchten. Das finde ich ganz toll. Zu diesem barocken Universum gehört aber meiner Meinung auch das Schloss in Friedrichswerth, 15 km von Gotha entfernt ...

Leider steht unser Schloss schon wieder 11 Jahre leer und es soll vom Land Thüringen, welches der Eigentümer ist, verkauft werden. Dieses finde ich nicht gut. Ich möchte erreichen, dass es sinnvoll genutzt wird und vor allem der Öffentlichkeit wieder zugänglich wird.

Vorstellen könnte ich mir eine Mehrfachnutzung ( sozial, museal, kulturell und gastrononmisch) ...

Hier müssen Bund, Land, Kreis, Gemeinde und interessierte Bürger gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich schlage deshalb einen »Runden Tisch Schloss Friedrichswerth« vor.

Gleichzeitig lade ich Sie und Ihre Frau ganz herzlich zu einer Vorortbesichtigung unseres Schmuckstückes ein.

Kommen Sie doch gleich mit der Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht vorbei und schauen Sie unser Schloss einfach mal an. Sie werden begeistert sein, und ich würde mich sehr darüber freuen ...

Ich lege dem Schreiben einige Fotos vom Schloss bei. Für Anfragen und weitere Informationen stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen

Jörg Möller
Bürgermeister und 1. Vorsitzender des Heimatvereins

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.