Hellwach wie eine Maschine

Suchtexperten warnen vor »Hirndoping« mit Medikamenten

  • Sabine Dobel, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Schon Schüler setzen auf Wundermittel aus der Pillendose. Sie erhoffen sich bessere Noten mit Hilfe von Medikamenten. Doch Suchtexperten warnen vor solchem »Hirndoping«.

Der Erfolgsdruck in Schule, Ausbildung und Beruf wächst stetig. Viele Menschen seien daher bereit, zu leistungssteigernden Mitteln zu greifen, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Raphael Gaßmann, am Montag in München.

Eigentlich ist es illegal, sich ohne Rezept verschreibungspflichtige Medikamente zu beschaffen, die teils unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Gelegentlich frage er seine Studenten, wer Erfahrung mit einschlägigen Mitteln gemacht habe, so Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Da strecke etwa jeder Zehnte den Finger hoch.

Viele Medikamente seien ohne Rezept über das Internet zu bekommen, enthielten jedoch teilweise gar keinen Wirkstoff oder seien überdosiert und damit gefährlich. In den USA wird Ritalin gegen das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom ADHS bereits an zehn Prozent der Kinder verschrieben. Kids handelten damit schon auf dem Schulhof. Denn Ritalin mit dem Wirkstoff Methylphenidat soll die Konzentration steigern – man könne hellwach lernen wie eine Maschine, behaupten manche. Und das schürt die Neugier: »Mich persönlich würde es schon reizen, mal eine zu nehmen. Von einer Minute auf die andere merkst du, wie dein Gehirn ›hochfährt‹, du bist wissbegierig und voll aufnahmefähig für jeglichen Stoff«, schreibt ein Nutzer in einem Internetforum. Genommen werden auch Präparate gegen Depression, Demenz oder das Schlafapnoesyndrom. Dabei gibt es laut Suchtexperten keine belastbaren Studien, die belegen, dass die Arzneien bei Gesunden tatsächlich positiv auf die Hirnleistung wirken.

Teilweise sei das Gegenteil der Fall, etwa bei Ritalin, sagt Glaeske. Die Einnahme führe bei Gesunden nachweislich eher zur Verringerung der Leistungsfähigkeit und Aktivität. Die Konsumenten dieses und anderer Mittel riskierten Abhängigkeiten, Nebenwirkungen und mögliche Langzeitfolgen. Hirndoping, so warnt die Hauptstelle deshalb, sei »sinnlos, riskant und teuer«.

Zwar greifen einer Umfrage der Krankenkasse DAK zufolge bisher nur knapp ein Prozent der Beschäftigen täglich oder mehrmals wöchentlich zu leistungssteigernden und stimmungsaufhellenden Medikamenten. Einer anderen Umfrage zufolge wären aber vier von fünf Schülern und Studenten bereit, ein Medikament zu nehmen, wenn es keine Nebenwirkungen hätte.

Die Pharmaindustrie habe hier ein großes Interesse, wie Glaeske sagt. Würde ein Medikament entwickelt, das nachweislich die Leistungsfähigkeit steigere, könnte dies ein riesiger Zukunftsmarkt sein. Oliver Pogarell, Leiter des Suchtbereichs in der Klinik für Psychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität in München, warnt jedoch vor gravierenden sozialen Folgen: »Wenn es einer macht, werden es alle machen wollen.« Dabei gebe es kein Medikament ohne Nebenwirkungen. Der Weg führe in noch größeren Leistungsdruck und Abhängigkeit: »Man ist dann kein freier Mensch mehr.«

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