Katerstimmung in Euro-Land
Kritik an Kanzlerin und Krisenmanagerin Merkel vor dem EU-Schuldengipfel
Vermutlich hat sich die Kanzlerin die letzten Tage vor ihrem Urlaub etwas entspannter vorgestellt. Und gewiss wird sie ab Samstag, wenn sie nach Intimkenntnissen von »Bild« in Bayreuth, Südtirol und Salzburg weilt, nicht nur eitel Sonnenschein erleben. Dazu haben der vorgeblichen europäischen Krisenmanagerin zu viele Zeitgenossen wenig Erfreuliches ins Stammbuch geschrieben. Nicht nur, dass ihr einstiger Förderer und Amtsvorgänger Helmut Kohl trotz seines Dementis immer wieder von »Spiegel-online« mit dem schönen Satz zitiert wird: »Die macht mir mein Europa kaputt.« Auch ein anderer Ex-Kanzler, nämlich Helmut Schmidt von der SPD, belehrte Merkel in der »Zeit«, dass es nicht um die Währung, sondern um Europa gehe, und geißelte »wochenlange Streitigkeiten aus Geltungsbedürfnissen, Eitelkeiten und Populismus über unwichtige Details«.
Selbst wenn Merkel das Donnerwetter der Altvorderen nicht trifft – der gestern in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« veröffentlichte Appell der fünf Wirtschaftsweisen an die Bundesregierung und die Forderung nach einem »Plan B«, worunter die Experten einen Teilschuldenerlass Griechenlands verstehen, wie auch deren Orakeln vom Auseinanderbrechen der Währungsunion können die Kanzlerin nicht kalt lassen. Wie auch die Kritik ihres womöglichen sozialdemokratischen Kontrahenten bei der Bundestagswahl 2013, Peer Steinbrück, dass man Europa nicht auf die Währungsunion reduzieren könne und der »visionäre Teil« verloren gegangen sei.
Den Verlust von Visionen verortet Sahra Wagenknecht allerdings viel früher. Gegen eine von links immer wieder geforderte politische Union, die nicht nur auf die Gemeinschaftswährung reduziert sei, habe sich die SPD seit Kanzler Gerhard Schröder beharrlich gewehrt, erklärte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und frühere Europa-Abgeordnete im ND-Gespräch. Für Wagenknecht steht fest: »So lange man die Finanzmärkte von der Kette lässt und Länder zum Spielball von Finanzspekulanten und Ratingagenturen macht, wird es keine Grundlage für eine solide Lösung der Schuldenkrise geben.« Deshalb fordere die LINKE eine Regulierung der Finanzmärkte, die Abkopplung öffentlicher Finanzen von privaten Banken und Ratingagenturen und einen Schuldenschnitt.
Zumindest Letzteres predigt Peer Steinbrück auch schon seit geraumer Zeit. Merkels Finanzminister aus der Großen Koalition, mit dem sie vor Jahren die durchaus umstrittene Bankenrettung mit ihrer bis ins Heute weisenden Fernwirkung durchzog, verweist jetzt auf zu stärkendes »Vertrauen der Menschen in Europa«. Die Kanzlerin kann sich demnach für den Wahlkampf warm anziehen. Denn einer jüngsten Forsa-Meinungsumfrage zufolge lässt die Euro-Krise wieder die Pessimisten hierzulande fröhliche Urständ feiern. Fast 50 Prozent der Befragten gaben zu Protokoll, an eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage zu glauben. Das, wie auch die Tatsache, dass sie bei der Kanzlerfrage mit nur noch 36 Prozent so schlecht wie zuletzt 2006 abschnitt, sind wahrlich keine guten Zeichen. Der amerikanische Historiker Fritz Stern sagte gestern in der »Berliner Zeitung«: »Eines der großen Übel ist, dass Frau Merkel sich immer mehr von Prämissen der Innenpolitik bei außenpolitischen Entscheidungen leiten lässt, statt von der Außenpolitik.« Wenn das stimmt, müsste die Kanzlerin heute in Brüssel über ihren Schatten springen. Aber bislang hat sie die Erwartungen an den Sondergipfel und eine »spektakuläre« Lösung eher gedämpft.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.