Den Protestvirus nach ganz Europa tragen

Der Volksmarsch der spanischen »Empörten« nach Brüssel ist in Frankreich angekommen

  • Lesedauer: 4 Min.
Von Ralf Streck, San Sebastián
Buntes Treiben rund um den Musikpavillon in Irún
Buntes Treiben rund um den Musikpavillon in Irún

Die Indignados (Empörten) beschränken ihren Protest nicht mehr auf Spanien. Nach dem erfolgreichen Marsch auf Madrid im Juli ist nun eine Gruppe Richtung Brüssel unterwegs. Das Ziel ist das Europaparlament.

»Es geht um die Globalisierung der Proteste«, schallt es über den »Ensanche Enparantza«. So heißt der zentrale Platz in der baskischen Stadt Irún, dessen Bild sich völlig verändert hat. Erschöpfte Marschierer haben die Rucksäcke abgeworfen. Unter neugierigen Blicken von Passanten bauen sie unter Bäumen ihre Zelte direkt neben dem Gebäude der Nationalpolizei auf, deren Überwachungskameras das bunte Treiben filmen. Der Musikpavillon im Zentrum wird mit Beschlag belegt, um wund gelaufene Füße zu verarzten. Spruchbänder zieren das Gebäude: »Volksmarsch nach Brüssel« ist darauf zu lesen. »Wir gehen langsam, denn wir wollen weit kommen.«

Die »Indignados«, wie sie genannt werden, meinen damit nicht nur die 1500 Kilometer, die sie zu Fuß von Madrid nach Brüssel zurücklegen wollen. Sie wollen ganz Europa mit ihrem Protestvirus infizieren. Am Dienstag erreichten sie das Gebiet, wo die Grenze zu Frankreich das Baskenland unter zwei Staaten aufteilt. Am Mittwoch haben sie feierlich dort die Grenze übertreten, wo sich einst auf der Europabrücke Franco und Hitler die Hand reichten. Nun marschieren sie im Land von Stéphane Hessel, des Kämpfers gegen den Faschismus und Überlebenden des KZ Buchenwald, der mit der Streitschrift »Empört Euch« die Proteste befördert hat.

Seit dem 15. Mai lehnt sich die »Bewegung 15-M«, die eine Woche vor den Regional- und Kommunalwahlen mit massiven Demonstrationen in vielen Städten entstand, gegen die »Zweiparteiendiktatur« in Spanien auf. Sie fordert politische und soziale Veränderungen und trägt ihre Forderungen nun selbst über die Grenzen hinaus. Denn überall würden die Kosten für die Wirtschafts- und Finanzkrise auf die einfache Bevölkerung abgewälzt. Während Banken Milliarden erhalten, fliegen Familien aus ihren Wohnungen, weil sie, von Arbeitslosigkeit geplagt, ihre Hypotheken nicht bezahlen können. Dazu kommen, wie überall, tiefe Einschnitte ins Sozialsystem, Renten- und Lohnkürzungen, beklagen die Empörten.

Vom Empfang im Baskenland sind sie überwältigt. Sie hatten die Unterstützung nicht erwartet. Denn die Bewegung ist hier, wegen anderer Bedingungen, kaum spürbar. »Wir haben viel gelernt«, sagt Jaidro López. Er stellt nachdenklich fest, schon im eigenen Land auf eine andere Kultur und Sprache gestoßen zu sein, die man respektieren müsse. Das erklärt der 35-Jährige, der erstmals in den grünen Bergen ist. In Irún wurde den Marschierern als Ehrenbezeugung der »Aurresku« getanzt, und wie bei festlichen Anlässen üblich, erklang auch die »Txalaparta« (ein Perkussionsinstrument aus Holzbalken) und erstaunte die Marschierer.

Begeistert waren sie auch von den vielen unterschiedlichen Menschen, die sich am Abend zum Plenum versammelten, um zu debattieren und den Empörten Kraft mit auf den langen Weg zu geben. In Kastilien, wo sich Jaidro einer Platzbesetzung in Toledo und später dann dem Marsch auf Madrid angeschlossen hat, seien die Leute distanzierter. Doch überall komme man direkt mit den Leuten in Kontakt und es könnten Grenzen überschritten werden.

Deshalb soll das Erfolgsrezept aus Spanien nun auf Europa übertragen werden. Bis zum 23. Juli waren Marschkolonnen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gezogen, wo am 25. Juli in Madrid mehr als 40 000 Menschen demonstrierten. »In einem Radio-Interview hatte ich scherzhaft gesagt: Und jetzt auf nach Brüssel«, erzählte Jaidro, wie der Brüssel-Marsch entstand. Am nächsten Tag stellte Jaidro erstaunt fest, dass eine Arbeitsgruppe ihn schon plante. Am 26. Juli machte sich eine Gruppe von etwa 30 Marschierern aller Altersgruppen auf den Weg.

Inzwischen hat sich die Zahl der Teilnehmer mehr als verdoppelt, die aus mehr als einem Dutzend Ländern kommen. Sie wollen auf dem Weg weitere Menschen dazu anstoßen, für reale Veränderungen einzutreten. In Paris soll die Gruppe dann massiv anwachsen und sich mit anderen Marschierern aus Deutschland, Italien und Griechenland vereinen, um gemeinsam den Marsch auf Brüssel fortzusetzen. Dort ist am 8. Oktober vor dem Europaparlament eine Großdemonstration geplant. Eine Station auf einem langen Weg. Denn am 15. Oktober wollen die Marschierer wieder in Spanien sein. Dann sollen ein Generalstreik und viele Demonstrationen das Land lahm legen.

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