Die Macht der Bilder

Medien und Justiz. Der Fall Torben P. – ein Kammergericht und der Medien-Stammtisch

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Markus Pi. hatte Pech und Glück zugleich. Pech, weil er in jener Nach im April dieses Jahres zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort an die falschen Leute geriet. Auf dem Bahnsteig des Berliner U-Bahnhofs Friedrichstraße kam es zu einer – zunächst verbalen, dann tätlichen – Auseinandersetzung zwischen dem 30-Jährigen und zwei Jugendlichen. Am Ende lag Markus Pi. am Boden und einer der beiden jungen Männer, mit denen er in Streit geriet, trat auf seinen Kopf ein – mit einer schier unbändigen Gewalt. Markus Pi. hatte Glück im Unglück: er überstand die Attacke zwar schwer verletzt, lebt aber; zumindest physisch sind die Wunden der Tat bald verheilt.

Auch sein Peiniger Torben P. hatte Glück. Sein Opfer überlebte. So lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft, der sich der 18-Jährige zur Zeit vor dem Berliner Kriminalgericht stellen muss, »nur« auf versuchten Totschlag. Der Vorwurf hätte auch auf versuchten Mord lauten können, wie Markus Pi. und seine Anwälte fordern. Und sie haben einen scheinbar eindeutigen Beweis: Die Bilder, die die Überwachungskameras in der Tatnacht aufgenommen haben. Hätte es diese Bilder nicht gegeben, der Prozess gegen den geständigen Torben P. hätte kaum Widerhall in den Medien gefunden.

Genau diese Tat-Bilder aber sind Torben P.'s Unglück. Doch, was wie ein untrügerischer Beweis für eine abscheulichen Tat in den Tagen nach dem Verbrechen tausendfach im Internet und Fernsehen zu sehen war, ist für das Gericht, das ein Urteil fällen soll, eine schwere Last. Es muss rechtsstaatlichen Prinzipien folgen und nicht dem Bauchgefühl der empörten Medienöffentlichkeit, deren Urteil schon vorab feststeht. Die Videobilder vom Bahnhof Friedrichstraße zeigen einen Torben P., der wie von Sinnen auf den Kopf des am Boden liegenden Markus Pi. eintrat. So einer, so legen die Bilder nahe, hat mit Nachsicht nicht zu rechnen, ist ein unberechenbarer Psychopath oder – wie die Boulevard-Medien schrieben – ein »Hasstreter«, der »U-Bahn-Schläger«, kurzum: ein »Monster«.

Es ist genau diese Form der vorverurteilenden, Rachegelüste bedienenden Berichterstattung, die Torben P. zu einer milderen Strafe verhelfen könnte. Das Gericht ordnete Ende letzter Woche an, dass die komplette Presseakte in das Verfahren aufgenommen wird – mit Zustimmung von Verteidigung und Anklage. Der Grund: Torben P. und seine Familie werden seit Monaten von Medienleuten verfolgt, an den Pranger gestellt. Als die die Schule, auf die Torben bis zur Tat ging, ihn vom Unterricht ausschloss und Einzelunterricht angeordnet wurde, hatten findige Journalisten rasch die Örtlichkeit ausgespäht und für Torben P. musste ein neuer Unterrichtsort gefunden werden.

Einer der größten Vorteile des Rechtsstaats besteht darin, dass Gerichte in ihrer Urteilsfindung auch Tatsachen berücksichtigen müssen, die einen Angeklagten entlasten bzw. die für seine Resozialisierung hinderlich sind. Das müssen wir aushalten, auch wenn uns das wie Falle von Torben P. angesichts der Brutalität der Tat unmenschlich erscheint. Noch unmenschlicher wäre es aber, wenn sich die Richter von den Bildern und den sie auslösenden Emotionen leiten lassen würden.

In wenigen Tagen will das Kammergericht sein Urteil fällen – hoffentlich nicht im Namen des Medien-Stammtischs.

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