Kirche? Sekte!!
Hubertus Mynarek bei »ND im Club«
Der Papst ist Antidemokrat. Er nur kennt den Willen Gottes und die Wahrheit und darf sich also unberührbar wähnen? Dass so einer im Parlament reden darf, verwandelt Deutschland in »Absurdistan«. Ratzinger? Grinst zynisch, hat keinen Humor, ist misstrauisch und schnell beleidigt, kompensiert Minderwertigkeitskomplexe mit gierigstem Ehrgeiz. »Die Kirche ist die Perversion der Religion.« Fazit nach wenigen Minuten. Fest wie Fels. Der wird an diesem Abend argumentativ herabgeworfen auf den Papst, als gelte es, mit einem Steingewitter Rom zu zerschlagen.
Zu Gast im ND-Club: Hubertus Mynarek, 1929 geboren, lange Religionswissenschaftler in Bamberg und Wien. ND-Redakteur Ingolf Bossenz, fundierter Publizist zu Kirchen-und Religionsfragen, interviewte den Buchautor. 1972 trat Mynarek als erster Theologieprofessor im deutschsprachigen Raum aus der katholischen Kirche aus – bei Bossenz' Verweis auf kritische Geister wie Küng, Drewermann pfeift die Hand des glänzend aufgelegten Redners wie ein Messer durch die Luft: Wer in der »Sekte« Kirche bleibt, verändert nichts! Und Drewermann stieg erst aus, als er 65 war und also keine Professur mehr erwarten durfte.
Hört man solche rücksichtslosen Sätze, ahnt man den Weg, den dieser Theologe in die Einsamkeit ging. Sein Charakter, direkt und eindeutig, verbindet sich mit dem Naturell eines nah an Vulkanausbrüchen siedelnden Feuerwerfers. Beeindruckend: So sieht – nach Jahren katholischer Erfahrung sehr weit oben – die forsche Ungebrochenheit aus.
Listig lächelnd, aufreizend scheu wagt Bossenz Differenzierung und Gegenspruch – er verweist auf Millionen Gläubige, für ihn keinesfalls eine Sekte, denn Sekte sei doch an die Enge einer Minderheit gebunden. Und immerhin schreibe der Papst seine Bücher »in literarischem Stil«. Bossenz wagt. Aber Bossenz kann wagen, was er will, er kann dies noch so leise tun, es entlädt sich der Furor des Widerspruchs, es schäumt souverän die Gegenwelle auf: Mynarek hat eine Überzeugung, und Überzeugungen wuchten gegen das Widerspruchswesen der Dinge, als beträte ein Riese einen Gänseblümchenteppich. Da wächst kein Gras mehr. ND im Club: nichts für Gänseblümchen, obwohl die auch an der Balance der Welt mitwirken. Also: Klar ist Kirche eine Sekte! Literarisch? »Fassadentünche!« Und: Viele Gläubige (Afrika!) sind unaufgeklärt, und wenn jetzt Tausende nach Berlin kommen, dann werden die massenweise »herangekarrt« – Kirche ist Macht und Marketing.
Mynarek und Bossenz kennen sich, der polemische Geist vereint, dem ND-Mann ist freilich jenes innere Gleichgewicht anzumerken, das noch die schärfste Kritik in einer nachsinnenden Frage belässt. Auf des Gastes Haupt aber regnet es allen Himmelsvorrat an Ausrufezeichen, und er schickt sie als brennende Pfeile in den Raum, ach was, bis nach Rom. Man sieht den Papst regelrecht zusammenzucken.
»Aha, Bossenz ist hereingefallen!«, freut sich Mynarek, er kann also nachladen für preschende Rhetorik, denn soeben sprach der ND-Journalist vom »Mystischen«, das der Glaube atme. Glaube? »Aberglaube!« Vielleicht schoss der Begriff »Verbrecherbande« nur ein einziges Mal aus Mynareks Mund, die gefühlte Zahl geht ins Dutzendfache: Die Kirche hat ihre Mystiker verketzert – Meister Eckehart, Giordano Bruno. Wahre Mystik sei nicht bei »schlimmen Schändern« zu finden, sondern bei Geistern wie Einstein. Mit dessen Wort von der »kosmischen Religiosität« ist plötzlich eine Ahnung im Raum, was der Abend gedanklich auch hätte offenbaren können – wäre das Thema aus aktueller Gegebenheit nicht Ratzinger und die Gangart also nicht nur Attacke!, Attacke! gewesen.
Rasantes Gegentrommeln. Lodernde Ausführungen, in die Ingolf Bossenz klug Fragen warf, kleine Flöße in reißendem Strom. Die beißende Kraft, die von diesen zwei Stunden ausging, hätte garantiert ausgereicht, um Loriots Rentner Erwin Lindemann ein für allemal davon abzubringen, mit dem Papst in Wuppertal eine Boutique aufzumachen.
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