Dichters Malerei

Rabindranath Tagore

  • Antje Stiebitz
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein geschwungenes Fabeltier in Rot-Schwarz, Vögelvariationen, ein kleiner Pavillon, Orange, mit eingewebten Versen, zahlreiche Porträts, Tusche und Wasserfarben auf Papier. Dynamische Formen und Farbenreichtum, starke Kontrastierungen durch Schwarz. 98 Werke des bengalischen Malers Rabindranath Tagore (1861-1941), der erst im Alter von 67 Jahren das Malen begann. Denn eigentlich wurde Tagore als Dichter und Literaturnobelpreisträger bekannt.

Mit fünf Jahren, schreibt Tagore, habe er die Worte als Ausdrucksform entdeckt, mit sechzehn habe ihn die Musik überrascht. So sei er vollkommen überzeugt gewesen, dass es ihm sein Schicksal versagen würde, »über die streng gezogenen Grenzen der Buchstabenwelt hinauszuschreiten«. Doch dem Universalgelehrten, der die Welt entgrenzen wollte, weil er eine Welt dachte, gelang es die Trennungslinie zwischen Wort und Bild zu überwinden. Durch ein Prinzip, das seiner Ansicht nach in allen Künsten schlummert - »das Prinzip des Rhythmus, der die träge Materie in lebendige Schöpfung wandelt«.

Die Ausstellung »The Last Harvest« im Museum für Asiatische Kunst in Berlin zeigt Tagore auf über 500 Quadratmetern als Freigeist, Expressionist und Dramaturg. Er sprengte mit seinen Zeichnungen die Grammatik der damals in Indien herrschenden Kunstauffassung. Seine Darstellungen waren spontan, durchbrachen die konventionelle Stilisierung. Deswegen gilt er als ein Wegbereiter der indischen Moderne. Auf seinen Bildern treffen Menschen aufeinander, Mann und Frau, in inniger Umarmung, setzen sich auseinander und lehnen sich aneinander. Ein Mensch völlig in sich versunken, als wäre er Wiege für sich selbst, das Individuum. Daneben, szenisch inszeniert, Menschen in Gruppen, gesellschaftliche Interaktion.

Seine Bilder tragen keine Titel, dem Betrachter bleibt Raum zur Interpretation. Seine kräftige Farbgebung fällt zweifellos ins Auge. Doch das oft dominierende Schwarz lässt an Schwermütigkeit denken. Tagore hat schwere Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Oder zeigen seine Werke die Finsternis schlicht als einen Teil der Welt, wie es eine der Besucherinnen vorschlägt? Wollen seine zahlreichen Porträts, deren Gesichtshälften oft in Dunkelheit verborgen, darauf aufmerksam machen, dass wir immer nur einen Teil von uns preisgeben können?

Tagores Bilder reisten bereits 1930 durch Europa, nach Moskau, nach New York. Der deutsche Kunsthändler und Galerist Ferdinand Möller präsentierte eine Auswahl seiner Bilder in Berlin. Für Tagore schien jedoch vor allem bedeutsam, dass er eine weitere Ausdrucksform für seine inneren Impulse und Erfüllung fand. Er habe nicht gewusst, schrieb er 1930, »ob solch ungeordnete Erscheinungen vorschneller Herkunft einen Platz inmitten ehrbarer Kunst beanspruchen durften, so gaben sie mir doch tiefe Befriedigung und ließen mich meine wichtigen Arbeiten versäumen«.

Bis 30.10., Museum für Asiatische Kunst, Lansstr. 8, Berlin-Dahlem

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