Traum vom unbesiegbaren Baum
Peter Carnava: Bäume und das Aufbäumen Foto aus dem besprochenen Kinderbuch
Auszuziehen, um das Fürchten zu lernen, ist die romantischste wie kälteste Möglichkeit der Märchen. Mitunter trifft man auf ein Kinderbilderbuch, das mit solch unerschütterlicher Wunderlichkeit, die nichts Geringeres ist als ein wahrhafter Blick, in die Gegenwart führt.
Der kleine Edward, mit Dreirad und mit Helm und Ente drauf, schaut über seine Stadt, und die Augen scheinen sich zusammenzuziehen, um an der Betonfülle nicht verrückt zu werden. Aber: »Edward kannte einen Teil der Stadt, der anders war.« Der Weg geht entlang grauer Wände mit abgerisssenen Plakaten, da liegt eine zertretene Cola-Dose, und einsam trottet eine alte graue Frau dahin. Edward fährt zum letzten großen grünen Baum der Stadt. Der eines Tages aber auch gefällt ist.
Das Buch mit seinen knappen, naiven Strichen endet über Szenen tiefer Traurigkeit in jenem Bild, das an Truffauts »Fahrenheit«-Film erinnert, darin das Verbot von Büchern jeden Menschen in eine quasi wandelnde, Literatur auswendig gelernte, somit Bücher weitergebende Bibliothek verwandelt. Ein Szenario der Rettungslosigkeit, inmitten dieser aber doch: der sanfte, kräftigende Krieg der Fantasie gegen die Öde.
Es heißt in diesem Buch hier nur: »Und dann geschah etwas Wundervolles.« Seht nur! Jeder trägt - gegen den Kahlschlag durch Betonwachstum - sein Grün bei sich, mit sich. Selbsthelfertum, gemeinsam. Kindlich kämpft Gundi Gundermanns grüne Armee.
Das Bild hat etwas herzbewegend Tapferes, ein liebst gemaltes grünes Güte-Siegel ist das - lauter Leute, von denen manche noch nicht herzhaft lachen können, als sei die Angst vor neuerlichen Sägen noch zu groß; es liegt ein Präsenzhauch des Schönen auf der Welt, der erst wachsen muss wie die Bäume. Natürlich ist es gleichzeitig ein Bild, das alle Struktur zerstört, den Regenschirm so zweckentfremdet wie die Gitarre oder den Einkaufswagen. Glück kostet, und sein Wert misst sich daran, dass wir nicht immer nur an den Preis denken. Sonst kommen wir nie auf einen grünen Zweig
Das Schönste am Bild ist die Unentschiedenheit, ob man in dieser so gezeichneten Welt, in der Baumrettung möglich ist, leben möchte - oder ob man sich vor einer Welt fürchten muss, die solche Baumrettung nötig macht.
Peter Carnavas: Edward und der letzte Baum. Boje Verlag Köln. 32 S., geb., 12,90 Euro.Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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