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Hintertüren in Genf

Nichtregierungsorganisationen warnen vor Aufweichung des Verbots von Streumunition

  • Wolfgang Kötter
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Genfer »Palais des Nations« beginnt heute die 4. Überprüfungskonferenz der Konvention über Inhumane Waffen.

Unter Vorsitz von Gantscho Ganew aus Bulgarien werden die Vertragsmitglieder in den nächsten Tagen die Erfüllung des aus fünf Protokollen bestehenden Rahmenabkommens bewerten, die Wirksamkeit der Bestimmungen einschätzen und prüfen, ob diese ergänzt oder ausgeweitet werden müssen. Das Abkommen ist Teil des sogenannten humanitären Völkerrechts, das sich dem Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten widmet. Im Unterschied zu Abrüstungsabkommen geht es hier lediglich um Anwendungsverbote und -regeln. Nichtregierungsorganisationen warnten deshalb bereits vor Konferenzbeginn vor der Aufweichung des Streumunitionsverbots.

Obwohl Kriege durch die UNO-Charta generell verboten sind, werden sie tagtäglich in der ganzen Welt geführt. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung zählt allein für das vergangene Jahr sechs Kriege und 22 bewaffnete Auseinandersetzungen. Nach Angaben der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit verlieren täglich 1500 Menschen durch Waffengewalt ihr Leben. Fast eine halbe Million Menschen sterben jedes Jahr durch Gewaltverbrechen, davon einer von zehn in bewaffneten Konflikten.

Das Kriegsvölkerrecht soll dieser Gefährdung entgegenwirken, denn auch im Krieg gibt es kein unbeschränktes Recht bei der Wahl der Waffen und den Methoden zur Kriegführung. Es zielt zum einen auf die Beschränkung bestimmter Waffenarten; zum anderen legt es als humanitäres Völkerrecht Verhaltensregeln fest, um das Leid nicht direkt an den Kämpfen beteiligter Personen zu lindern.

Zu den grundlegenden Prinzipien gehören beispielsweise das Unterscheidungsgebot zwischen Zivilisten und Kombattanten, das Verhältnismäßigkeitsgebot sowie das Vorsichtsgebot und die Kontrollierbarkeit. Spezifische Reglementierungen enthält die im Jahre 1980 abgeschlossene Vereinbarung über Verbote und Einsatzbeschränkungen für »bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken« - kurz: Inhumane-Waffen-Konvention.

Viele Kritiker in der Friedens- und Abrüstungsbewegung bemängeln die Begrenzung der Konvention auf Regeln für die Waffenanwendung statt deren Abrüstung. Das trifft auch für das Landminenprotokoll zu. Aus Protest gegen die Unfähigkeit der offiziellen Diplomatie mobilisierte die »Internationale Kampagne gegen Landminen« die Weltöffentlichkeit. Im Dezember 1997 wurde dann der Vertrag zum Verbot von Anti-Personenminen in Kanadas Hauptstadt Ottawa unterzeichnetet und ist seit 1999 rechtswirksam. Ähnlich problematisch verlief das Ringen um die Ächtung von Streumunition, die auch lange nach dem Ende der Kämpfe Opfer unter der Zivilbevölkerung fordert.

Die internationale Zivilgesellschaft reagierte auf die Weigerung der Regierungen, im Rahmen der Inhumanen-Waffen-Konvention ein Verbot von Streumunition auszuhandeln mit dem »Oslo-Prozess«. Eine breite Koalition verbündete sich mit abrüstungswilligen Staaten und brachte in relativ kurzer Zeit ein Ergebnis zustande. In Norwegens Hauptstadt wurde 2008 der Vertrag zum Verbot von Streumunition unterzeichnet und trat am 1. August vergangenen Jahres in Kraft.

Somit gibt es für Landminen und für Streumunition jeweils zwei unterschiedliche völkerrechtliche Regime. Einerseits existieren mit der Ottawa-Konvention und der Oslo-Konvention völkerrechtliche Verträge mit umfassenden und konsequenten Verboten. Andererseits gilt nach wie vor Protokoll II der Inhumane-Waffen-Konvention, das aber lediglich die Anwendung untersagt oder beschränkt und viele Ausnahmen und Halbheiten enthält. Gleichzeitig laufen in Genf die Verhandlungen unter dem Dach der Inhumanen-Waffen-Konvention weiter, um möglicherweise weitere Einschränkungen zu vereinbaren.

Der heute beginnenden Überprüfungskonferenz liegt ein Bericht der Arbeitsgruppe zur Ausweitung des Minenprotokolls vor. Beobachter warnen jedoch davor, dass die Verhandlungen zu aufgeweichten Verpflichtungen führen könnten, die dann die weitergehenden Bestimmungen der Minen- und Streumunitionsverbote unterlaufen. Vor der Bundestagsdebatte in der vergangenen Woche appellierten Handicap International, Brot für die Welt und elf weitere Nichtregierungsorganisationen deshalb in einem offenen Brief an die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP, »alles dafür zu tun, dass die mit der Oslo-Konvention erreichte Ächtung von Streumunition nicht wieder aufgeweicht wird«.


Das Rahmenabkommen

über »Verbote und Einsatzbeschränkungen für bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken« besteht aus fünf Protokollen:

Protokoll I verbietet den Einsatz von Splitterwaffen, die mit Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können und deshalb deren operative Entfernung erschweren.

Protokoll II schränkt die Anwendung von Landminen ein und ächtet den Einsatz aller als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand getarnten Sprengkörper, der sogenannten booby traps. Nach Angaben der Internationalen Kampagne gegen Landminen werden jedes Jahr 15 000 bis 20 000 Menschen durch Minen verletzt, verstümmelt oder getötet.

Protokoll III untersagt die Verwendung von Brandwaffen wie Flammenwerfern und Napalm einschließlich von Phosphorgeschossen.

Protokoll IV verbietet Blendlaserwaffen, die die Netzhaut des menschlichen Auges zerstören und Gegner innerhalb von zwei Millionstel Sekunden irreparabel blenden.

Protokoll V verpflichtet zur Räumung der Kriegsschauplätze von explosiven Kampfmittelrückständen wie nicht explodierte Granaten, Streumunition, Bomben und Blindgänger, die noch lange nachdem die Kämpfe beendet sind Hunderttausende Menschen, zumeist Zivilisten, töten oder verletzen.
WK

Zu den Unterzeichnern des offenen Briefes an die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP gehören:
Brot für die Welt, Caritas international, der Evangelische Entwicklungsdienst (EED), der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, FACING FINANCE (Cluster Munition Coalition in Deutschland), Handicap International Deutschland e.V., Human Rights Watch Deutschland e.V., Oxfam Deutschland e.V. , pax christi - Sekretariat der deutschen Sektion, solidaritätsdienst international e.V., terre des hommes Deutschland e.V., UNICEF Deutschland und urgewald e.V.

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