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Gunst und Geist

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Etwas überspitzt gesagt: Bezüglich der Zukunft sind sich Menschen rasch einig - was sie entzweit, ist die gemeinsam erlebte Vergangenheit. Schriftsteller Dietmar Dath ist in seiner Essayistik ein toll kühn Denkender des Zukünftigen - das Polemik sät und also Polemik ernten muss. Diesem Emphatiker einer von Vernunft besiegten Menschenliebe ist zum Beispiel Sozialismus kein Produkt von Klassenkampf oder roter Gesinnung, sondern: konsequente Logik einer technisch versierten Gattungsintelligenz - die Freiheit nicht länger als Angebotsvielfalt missversteht, sondern als souveräne Konzentration auf die eine, zukunftserhaltende Option.

Martin Hatzius gelang in der nd-Interviewreihe ein herausragendes Buch über, mit Dath: »Alles fragen, nichts fürchten«. Ein kluges Zwei-Personen-Stück, in dem Dath sich selber erhellt und bei aller Herrschaft über Begrifflichkeiten doch ins unwandelbar Brüchige aller Existenz verwickelt bleibt. Dath entfaltet einen faszinierenden Deutungs- und Klarheitshorizont, aber weil Schreiben Notwehr ist, darf man in den Diamentanen die Dünnhäutigsten vermuten. Dath inklusive.

Hatzius, ein listig Bedächtiger, ein überlegt Schüchterner (»die Schüchternen üben mehr Macht aus, als öffentlich wird«, Martin Walser), schickte in Gesprächen mit Dath seine bohrende Sanftheit »gegen« dessen Pointenfuror, es entstand und hielt sich: Vertrauen. Vertrauen ist erzählbar. Ohne dass Intelligenz abnimmt.

Dass einer der prägenden FAZ-Feuilletonisten, Lorenz Jäger, über das Buch schreibt, ist natürliche Folge provokanten Denkens: Man bekommt dort, wo etwas überzeugend stark behauptet wird, große Lust auf die überzeugend starke Entgegnung. Wieder Walser: »Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr.« Quasi: Wo der Protestant sich aufschwingt in Höhen, möchte man den Katholiken ermuntern, alle Höhenluft aus dem Ballon Weltbild zu lassen. Ein radikales, gutes Buch bewegt lesen heißt: es radikal weiterdenken. Lohn eines Buches ist nicht Gunst, sondern Geist. Alles fragen, nichts fürchten. Die Antworten nicht, schon gar nicht Gegenfragen.

In einer seiner aktuellen Filmkritiken, in denen Sprache nicht bemüht wird, sondern geschieht, schreibt Dath gegen den häufigen Rezensentensatz, dieser oder jener Film berühre. »Kann er nicht. Filme leben davon, die Distanz illusionär zu verneinen, die ihre Daseinsvoraussetzung ist. Sie betatschen das Herz nicht, sondern zeigen und erzählen ihm etwas; sie sind nicht von dieser Welt. Dort ist es nicht wie hier, sondern reicher an Zuwendung, Vergebung und Trauer. Schlimmer. Schöner. Weit draußen. Ganz nah.«

Solch Buch schrieb Hatzius. Existenz fabulieren: weit draußen in Kühlregionen geschichtsplanvoller Selbststeigerung - die nur jenem Bewusstsein möglich ist, das noch kämpferisch hofft, man könne dem freien Fall ins Vergebliche entkommen. Jäger aber wirft sich zwischen Weitdraußen und Ganznah. Links fragt gern furchtlos, linkes Sinnen galt sich selber stets als die große, belebende Möglichkeit. Kluge Linke der Neuzeit adelt, dass sie inzwischen wissen: Es ist eine Möglichkeit. Auf diesem Fortschritt fußt der Ton in der Replik des Lorenz Jäger.

Martin Hatzius: Dietmar Dath - Alles fragen, nichts fürchten. Verlag Das Neue Berlin. 240 S., geb., 17,95 Euro. nd-Bücherservice: 030-29781777.

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