BLOGwoche: Hosianna, Guttenberg!

  • Christian Jakubetz
  • Lesedauer: 2 Min.

Um jemanden so richtig abgrundtief zu verabscheuen, muss vorher vermutlich das genaue Gegenteil der Fall gewesen sein. Kein Hass ohne enttäuschte Liebe. Wenn diese Theorie stimmt, dann muss die Liebe zwischen dem gewesenen Minister und Doktor zu Guttenberg und vielen politischen Journalisten in Deutschland ziemlich groß und innig gewesen sein. Das, was man über Guttenberg in den letzten Tagen beispielsweise in »Spiegel«, SZ oder FAZ zu lesen bekam, liest man ansonsten eher über Figuren wie Berlusconi oder Drittweltdiktatoren. Der letzte, der sich in Deutschland über so viele freundliche Worte auf einen Schlag freuen durfte, war Richter gnadenlos Schill, aber den liebten sie auch vorher schon nicht so.

Die Brachialgewalt, mit der jetzt auf den Ex-Darling der deutschen Politik (und ja, auch der Medien) eingeprügelt wird, sagt eine Menge darüber aus, wie der Berliner Politikjournalismus funktioniert. Es ist eine Geschichte von gegenseitigen Abhängigkeiten, von Grauzonen und von einem ständigen Balancieren am Rand. Sie ist aber auch ein Beleg dafür, wie viel Macht Journalisten dann doch zukommt. Und wie sehr sie Aufstiege inszenieren können, genauso gut wie Abstürze. Im Falle Guttenberg haben sie das eine im vergangenen Jahr gemacht, um ihm jetzt zu zeigen, wie es abwärts auch gehen kann.

Guttenberg (und nein, vorab, ich bin keiner seiner Fans) musste in den vergangenen Tagen das folgende über sich lesen: Dass er ein Gaukler sei, ein gefährlicher Politiker, ein Blender. Einer, der auch politisch keinerlei Substanz gehabt habe. Einer, der immer nur betrogen hat, ein Windei sozusagen. Das ist insofern erstaunlich, als dass sich das vor ziemlich genau einem Jahr noch ganz anders las: Da sahen exemplarisch die Kollegen des »Spiegel« die famosen Guttenbergs beim »Paarlauf ins Kanzleramt« und auch SZ und FAZ und viele andere äußerten sich überaus freundlich über den Baron. Was seinen Charakter angeht, dürfte sich Guttenberg im vergangenen Jahr kaum dramatisch verändert haben, es ist also wenigstens erstaunlich, wenn Journalisten jetzt, nachdem sie lange Zeit sehr nahe an ihm dran waren, schrei(b)en: Der Kaiser ist ja nackt!

Der Autor ist Journalist und betreibt das Medienblog »JakBlog« (www.blog-cj.de); zum Weiterlesen: bit.ly/tNMGag

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