Was ist »klassische Antifa«?
Ein Gespräch über die Geschichte einer linksradikalen Bewegung, die mehr als nur gegen Faschismus ist
nd: Bei »Antifa« denken viele an ein neueres Phänomen. Leser könnten daher ein bisschen überrascht sein, dass Sie in Ihrem Buch sehr weit zurückgehen: bis 1932.
Moritz Krawinkel: Wir wollten etwas Kurzes, Prägnantes haben. »Antifa« trifft das einfach, weil der Kern der Geschichte, die wir erzählen, der revolutionäre, autonome Antifaschismus ist, der heute in der Regel mit »Antifa« abgekürzt wird. Das lässt sich schwierig zurückprojizieren, aber dieser revolutionäre Aspekt des Antifaschismus ist eine Perspektive, die wir versuchen als roten Faden in dem Buch durchzuhalten.
Jan Schlemermeyer: Diese Traditionslinien werden von den Antifagruppen in der Regel selber aufgemacht. Zum Beispiel durch den historischen Bezug auf das klassische Antifa-Symbol.
Aber ist es richtig, dass der Begriff »die Antifa« eher eine neuere Verwendung ist?
Schlemermeyer: Das ist richtig. Es ist ein Konzept, das in den 1990er Jahren erstmals explizit formuliert wurde als ein umfassendes politisches Konzept für linke oder linksradikale Arbeit.
● Ist die erwähnte Traditionslinie wirklich so präsent bei dieser heutigen Bewegung?
Krawinkel: Eben nicht so sehr. Viele Jugend-Antifas, die heute anfangen, sich mit autonomem Antifaschismus zu beschäftigen, wissen nicht so genau, wo das eigentlich alles herkommt. Diese Lücke versuchen wir, mit dem Buch zu füllen. Wir wollen ein Material an die Hand geben, damit die Leute vielleicht auch Anregungen für die heutige Antifa-Arbeit finden.
Schlemermeyer: Das ist auch wichtig, weil alle, die im weitesten Sinne Antifa-Arbeit machen, letztlich doch immer bei ähnlichen Problemen rauskommen. Das heißt, es geht nicht nur darum, den Leuten gewissermaßen gemeinschaftskundeartig zu sagen, was ihre Geschichte ist, sondern von den heutigen Problemen her zu gucken, wo es schon historische Beispiele dafür gab.
Die da wären?
Schlemermeyer: Bei der Mobilisierung gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden taucht beispielsweise die klassische Frage auf: Was heißt eigentlich linker Antifaschismus vor dem Hintergrund von Bündnisarbeit? Also einer Arbeit, die über das eigene Spektrum hinaus mobilisiert. Wie hält man es mit der eigenen Gesellschaftskritik - und zum Beispiel mit der Kritik an dem revisionistischen Gedenken auch in bürgerlichen Kreisen -, wenn man möglichst viele Bürger für eine Blockade des Nazi-Aufmarsches mobilisieren möchte? Genau diese Diskussionen hat es schon Ende der 1920er Jahre gegeben.
Sie haben das alte Antifa-Symbol erwähnt, das noch heute verwendet wird. Wo kommt es her?
Krawinkel: Entwickelt wurde es für die historische Antifaschistische Aktion von 1932. Das Logo besteht aus zwei roten Fahnen in einem Kreis, der einen Rettungsring symbolisieren soll. Die Fahnen stehen für SPD und KPD.
Dieses Logo ist dann Ende der 1980er Jahre adaptiert worden. Es ist ein bisschen moderner gestaltet worden. Eine Fahne wurde schwarz, um ein anarchistisches Spektrum zu repräsentieren. Und die Fahnen wehen in dem neuen Logo nach links, und nicht mehr, wie in dem ursprünglichen, nach rechts.
Wofür steht diese Antifaschistische Aktion von 1932? War das ein Bündnis dieser beiden Parteien oder war das auch etwas Besonderes von der Praxis her?
Krawinkel: Im Prinzip ist die historische Antifaschistische Aktion der letzte Versuch, eine Einheitsfront gegen den damals schon sehr weit fortgeschrittenen Nationalsozialismus zu bilden. Er kam aber insofern zu spät, als die Gräben zwischen SPD und KPD damals schon viel zu tief waren.
Schlemermeyer: Sie hat auch relativ wenig Wirkung entfaltet auf der Straße. Da liefen nicht viele große Aktionen.
Sie gehen in Ihrem Buch auf verschiedene andere antifaschistische Aktionen oder Richtungen im Laufe des 20. Jahrhunderts ein. Es scheint aber, dass erst in den 1990ern wieder der Aufbau einer größeren Struktur für diese radikale Bewegung gelang.
Schlemermeyer: Ja, explizit schon, aber die hat eben ihre Vorgeschichte. Die autonome Organisierung der Antifa in den 1990ern ist nicht denkbar ohne den Antifaschismus der 1980er, der aus den Autonomen entstanden ist, die sich wiederum auf die Spontis rückbeziehen, die aus der Auseinandersetzung mit »68« kommen.
Sie beschreiben die 90er Jahre als Organisationsphase. Was kam danach?
Schlemermeyer: In den 90er Jahren gab es in der gesamten Linken eine relativ große Perspektivlosigkeit. Hinzu kam die eskalierende Nazigewalt. Das damals entwickelte Konzept »Antifa« kam dann später allerdings ein Stückweit an sein Ende, denn es stellte sich die Frage: Auf wen bezieht man sich eigentlich? Und wie kommt man über eine klassische autonome Kampagnenpolitik hinaus? Zudem veränderten sich die politischen Umstände: Einerseits machte die rot-grüne Bundesregierung Schluss mit dem klassischen CDU-Umgang mit Nazis, der Totschweigen oder Verdrängen bedeutete. SPD und Bündnisgrüne proklamierten dagegen einen expliziten staatlichen Antifaschismus, wodurch klarer wurde: Es ist für die Antifa-Bewegung jetzt notwendig, noch mal eine eigene inhaltliche Bestimmung zu machen. Durch Ereignisse wie den 11. September wurde klar: Die Lage der Welt ist ein bisschen komplexer und es gibt mehr Frontverläufe, als nur Staat und Nazis auf der einen Seite und die Antifa-Bewegung auf der anderen.
Krawinkel: Gleichzeitig ist diese Zeit von einer starken Ausdifferenzierung und sehr unterschiedlichen Antworten auf diese Krise der Antifa gekennzeichnet. Ab dem Jahr 2000 sind drei große Strömungen auszumachen: die Antideutschen, die Bewegungslinken und die Antinationalen.
Inwiefern kann man vor dem Hintergrund dieser Ausdifferenzierung dann überhaupt von klassischen Antifa-Gruppen sprechen?
Krawinkel: Wir haben in unserem Buch eine sogenannte klassische Antifa-Gruppe porträtiert. Das bedeutet in dem Fall vor allen Dingen eine Abgrenzung von den genannten Großströmungen. Denn diese drei Kategorien reichen nicht aus, um die Antifa abzubilden. Es gibt einen Haufen von Gruppen, die eher in einem lokalen oder regionalen Rahmen arbeiten und nicht in diesen drei Strömungen aufgehen.
Schlemermeyer: »Klassisch« ist das in dem Sinne, als dass sie relativ nah am Antifa-Konzept der 90er Jahre ist. Das bedeutet, sich oftmals nicht konkret in inhaltlichen Debatten zu positionieren, sondern sich irgendwie allgemein als revolutionäre Antifaschisten zu begreifen und klassische Anti-Naziarbeit zu machen. Das heißt beispielsweise, Nazi-Strukturen zu recherchieren oder zu versuchen, Nazi-Veranstaltungen zu verhindern.
Ihr Buch betrachtet die Zeit bis zur Mobilisierung gegen den G8-Gipfel von Heiligendamm 2007, weil sich daran die Ausdifferenzierung der Antifa-Gruppen zeigen lasse. In einem Interview haben Sie kürzlich davon gesprochen, dass es in letzter Zeit wieder Tendenzen zu mehr Kooperation gibt. Wie sieht die Entwicklung aus?
Krawinkel: Wir beobachten, dass nach einer gewissen Zeit, einer heißen Phase der Spaltung und Ausdifferenzierung, Gruppen, die zu ähnlichen Themen arbeiten, doch wieder zusammenarbeiten können. Im Zuge der Mobilisierungen gegen die Politik der Regierungen in der Finanz- und Wirtschaftskrise beziehen sich Gruppen, die vorher eher einen Bogen umeinander gemacht haben, wieder mehr aufeinander und scheinen zumindest wahrzunehmen, dass da ein anderes Spektrum mit einem etwas anderen Zugang Sachen macht, die man vielleicht gar nicht so schlecht findet. Das gilt aber nicht für alle, und ist daher keine Prognose, dass da etwa eine Wiedervereinigung stattfindet.
Mirja Keller, Lena Kögler, Moritz Krawinkel, Jan Schlemermeyer: Antifa. Geschichte und Organisierung, Schmetterling-Verlag 2011, 180 Seiten, 10 Euro.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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