Ein so stilles wie starkes Charisma

Friedrich Schorlemmer zum Tode von Horst-Eberhard Richter

  • Lesedauer: 3 Min.

Ich bewundere ihn, weil ich in ihm einem Menschen begegnet bin, der mir stets mit Sensibilität und Kraft entgegentrat, mit Fantasie und Scharfsinn, Friedfertigkeit und Aktivität, Einfühlung und Kritik, Entschiedenheit und Toleranz, mit geschliffen-hoher Geistigkeit und weltzugewandter Leiblichkeit.

Horst-Eberhard Richter zu würdigen, fällt mir ganz schwer und ganz leicht zugleich. Es überwiegt Dankbarkeit: für gewonnene »Erleuchtung« in die verborgenen, innersten Zusammenhänge unserer Verbiegungen, für erfahrene Hilfe bei der Bearbeitung des Bedrängenden und des Verdrängten, für das wesentlich durch ihn schlüssig gewordene Zusammenspiel von Persönlichem und Politischem.
Ich habe seine Stimme im Ohr, in der Traurigkeit und Festigkeit gepaart waren, und vor Augen seine bescheiden daherkommende Erscheinung, in der sich sein Wesen zeigte. Er hatte ein so stilles wie starkes Charisma, an dem dem so viele Jahrzehnte lang teilhaben konnten. Er vermochte es, Psychoanalyse und Gesellschaftskritik verständlich und einsichtig zusammenzubringen

Er hat wie kaum ein anderer seiner Zunft ganz persönlich geredet, ohne das Private zu verletzen, und gewährte damit dem Leser oder Zuhörer beispielhaft, überraschend, herausfordernd Einblicke in dessen eigenes Ich. Er machte sich nicht nur Sorgen - ums Politische, ums Soziale, ums Ökologische - , sondern er erhob Einspruch, versammelte Widersprechende, und er engagierte sich bei den Ärzten gegen den Atomkrieg (IPPNW). Was Brecht sich für seinen Grabstein wünschte, trifft ganz auf Richters Denkart zu: »Er hat Vorschläge gemacht. /Wir haben sie angenommen./ Durch eine solche Inschrift wären wir alle geehrt.«

Dem eingreifenden Denken eines Bertolt Brecht hat er das einfühlende Denken hinzugefügt und dabei zum Eingreifen ermuntert und jeder Selbstüberforderung widerraten. Er wusste zu gut um die Grenzen und die Brüche jedes Einzelnen, er wusste auch um den politisch fatalen GOTTESKOMPLEX, in dem er die Hybris des Machbarkeitswahns aufspießte.

Viele seiner Bücher wurden populäre Programmtitel: LERNZIEL SOLIDARITÄT. LEBEN STATT MACHEN. CHANCE DES GEWISSENS. SICH DER KRISE STELLEN. FLÜCHTEN ODER STANDHALTEN. DAS ENDE DER EGOMANIE. BEDENKEN GEGEN ANPASSUNG. WER NICHT LEIDEN WILL, MUSS HASSEN - bis hin zu seinem letzten (Vermächtnis-)Buch MORAL IN ZEITEN DER KRISE (2010), in dem er auch die DIE HOHE KUNST DER KORRUPTION (1990) nochmals in ihren diffizilen Auswüchsen zu durchschauen lehrte. (Als Besinnungslektüre zwischen den Jahren dem Bundespräsidenten sehr zu empfehlen!) . Sehr direkt hat er sich immer an Menschen, besonders jüngere gewandt, er wurde zum Vordenker, Motivator, Reflektor, Begleiter und Akteur der Friedensbewegung.( Noch vor acht Wochen sprach er hier in Berlin über »Atomgefahr und Menschlichkeit« mit der für ihn charakteristischen Zuversicht »Ich kann etwas tun«.) Allen Ideologien und allen Feindbildern trat er analytisch und praktisch entgegen.

In seinen letzten Jahren galt er den Jungen als der große zornige Weise von Attac. »Eine andere Welt ist möglich« - das war sein Credo lebenslang, dem er mit sanfter Entschlossenheit folgte. Und die Hoffnung auf einen moralischen Aufbruch kann man sich - trotz allem! - dadurch bestätigen, dass man allen noch so plausiblen pessimistischen Bedenken durch Fortsetzung eigener engagierter optimistischer Praxis widerspricht.« Sein letztes Wort in seinem letzten Buch.

Mut und Zuversicht wollte diese klarsichtig-sympathische Inspirations- und Integrationspersönlichkeit - buchstäblich bis zum letzen Atemzug - seinen Ur-Enkeln für deren Weg mitgeben. Jetzt gilt es, seine Ein-Sichten ohne ihn einzulösen. Mögen die Friedens- und Umweltbewegten sowie die globalisierungskritischen Initiativen seine EINWÄNDE GEGEN DAS VERZAGEN beherzigen.

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