Die verschollene Korrektur

Sensationsfund des Roten Antiquariats: Brechts »Svendborger Gedichte«

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 3 Min.

Während der zwei jährlichen großen Buchmessen in Deutschland, der Frankfurter und der Leipziger, finden auch Antiquariatsmessen statt, die ein Dorado für Sammler sind. Wer sich allerdings mehr für Avantgarde, Socialistica und Exilliteratur interessiert, wird hier längst nicht mehr so fündig wie in früheren Jahren. Ausnahmen bestätigen zwar auch hier die Regel. Beeindruckend wie immer war das holländische Antiquariat »Die Schmiede«. Neben seltenen Ausgaben des antifaschistischen Exils gab es hier Frankfurt am Main u. a. die 1922 bei Malik erschienenen »7 Materialisationen« von George Grosz sowie frühe Veröffentlichungen von Franz Kafka, Walter Serner, Walter Mehring etc.

Die beste Adresse für den Sammler oben genannter Gebiete aber ist das Rote Antiquariat aus Berlin. Dessen umtriebigem Inhaber Christian Bartsch ist es gelungen, ein auf dem ersten Blick unscheinbares Buch in New York aus einem Nachlass zu erstehen. Es handelt sich um das 3. Korrekturexemplar zu Bertolt Brechts »Svendborger Gedichte«. Dieses Exemplar ist vollständiger als das im Brecht-Archiv der Akademie der Künste befindliche.

1938 hatte der mit seinem Malik-Verlag nach Prag emigrierte Wieland Herzfelde eine auf vier Bände angelegte -Brecht-Gesamtausgabe geplant. Der war an dem Vorhaben nachdrücklich interessiert; er schrieb im März 1938 an Herzfelde: »Du kannst mir jetzt die entscheidende Position verschaffen, die ich in der Emigrantenliteratur nicht habe. Und Du kannst gleichzeitig den Verlag (Malik) zum dominierenden machen.«

Allerdings konnten dann nur zwei Bände erscheinen, das Münchner Abkommen (September 1938) und die sich ein halbes Jahr später anschließende Zerschlagung der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland verhinderten eine Fortsetzung der Edition. Herzfelde erzählte später, er habe die Bände 3 und 4 im Schaufenster der Volksbuchhandlung in Liberec (Reichenberg) gesehen, bisher sind diese Bände aber nirgendwo aufgetaucht. Ebenso verschwunden sind die Bleisätze für die Buchblöcke; zu vermuten ist, dass sie von den Nazis vernichtet wurden.

Die in der Sammlung »Svendborger Gedichte«, so genannt nach dem Aufenthaltsort Brechts auf der dänischen Insel Fünen, enthaltenen Arbeiten waren eigentlich für den Band 4 bestimmt, doch Brecht hatte Herzfelde überredet, diese als Einzelband herauszubringen. Aber auch hier ging der schon gesetzte Satz verloren, allerdings blieben die Korrekturfahnen erhalten, die, schon gebunden, an Brecht und Margarete Steffin verschickt worden waren. Ruth Berlau sorgte dann dafür, dass auf Basis dieser Fahnen in Kopenhagen ein Neusatz gefertigt wurde, der schließlich den Druck jenes schmalen Gedichtbandes ermöglichte, der das letzte unter dem berühmten Malik-Signet erschienene Buch sein sollte. Das von Bartsch aufgefundene Korrektur-Exemplar ist die letzte Überarbeitung Brechts vor dem endgültigen Druck. Herausgegeben wurden die Gedichte übrigens unter dem Patronat der Diderot-Gesellschaft und der American Guild for German Cultural Freedom.

Mit seinem Fund schreibt das Rote Antiquariat Editionsgeschichte. Das wusste auch der Käufer des zwischen ärmlich aussehende Buchdeckel geklemmten Unikats. Die Gedichte, versehen mit den handschriftlichen Anmerkungen Brechts, haben natürlich ihren Preis. Trotzdem war das Exponat schnell verkauft. Es wird aber nicht einfach in einer Privatsammlung verschwinden. Bartsch freute sich, dass der neue Besitzer sein Exemplar der Wissenschaft zur Verfügung stellen und es später dem Brecht-Archiv vererben will.

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