Richtig, aber unglaubwürdig
Seehofers Rentenkritik verärgert Koalitionspartner, ist aber leider nicht ernst gemeint, moniert die Opposition
Es dürfte CSU-Chef Horst Seehofer kaum überrascht haben: Koalitionskollegen von CDU und FDP weisen seine Zweifel an der Anhebung des Rentenalters zurück. Angesichts des demografischen Wandels sei die zum Jahresbeginn gestartete schrittweise Verlängerung der Lebensarbeitszeit »eine der fairsten und gerechtesten Lösungen, die wir finden konnten«, sagte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Montag im Deutschlandfunk. Auch die Liberalen »stehen dazu«, wie der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring gegenüber der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« betonte. Um die volle Rente zu beziehen, müssen die Jahrgänge ab 1964 künftig bis 67 arbeiten.
Seehofer hatte am Wochenende in einer großen Boulevardzeitung die fehlenden Arbeitsmöglichkeiten für Ältere beklagt und gewarnt, dass der spätere Rentenbeginn unter diesen Umständen zu einer faktischen Rentenkürzung werde. »Mit mir ist eine massenhafte Rentenkürzung nicht zu machen«, versicherte der bayerische Ministerpräsident und tut damit so, als habe er mit einer der umstrittensten Reformen der vergangenen Jahre nichts zu tun.
Das ist freilich absurd. Es war zwar nicht sein erster Querschuss in Sachen Rente. Wortgleich hat sich Seehofer im September 2009 und im Oktober 2010 geäußert. Daraus gefolgt ist jedoch nichts. Im Gegenteil: Die CSU hat dem nun in Kraft getretenen Gesetz an jeder Stelle zugestimmt: 2007 dem Beschluss in der Großen Koalition - Seehofer war damals Landwirtschaftsminister, im selben Jahr im Bundesrat - das CSU-geführte Bayern war dafür. Noch im Dezember hat die CSU im Bundestag den von der LINKEN geforderten Stopp, wie auch die von der SPD geforderte Verschiebung der Rente ab 67 abgelehnt. Auch diese Gelegenheit zu einer »breiten, öffentlichen Debatte«, die Seehofer nun androht, verstrich ohne einen Mucks des bayerischen Löwen.
Unbequem ist der Vorstoß für Schwarz-Gelb trotzdem. Immerhin gibt ein CSU-Politiker damit den Gegnern der Neuregelung recht. Gewerkschaften, Sozialverbände und die LINKE lehnen sie als unsoziale Rentenkürzung rundweg ab. Die SPD geht inzwischen ebenfalls auf Distanz zu der Reform, die sie in der Großen Koalition vorangetrieben hatte. Sie will nunmehr die Anhebung des Rentenalters aussetzen, bis mindestens 50 Prozent der 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Davon kann derzeit keine Rede sein.
Rückendeckung bekam Seehofer am Montag in den eigenen Reihen vom CDU-Sozialflügel. Wenn das tatsächliche Renteneintrittsalter bei 62 Jahren liege, drohe Altersarmut für viele Arbeitnehmer, erklärten die Sozialausschüsse der Christdemokraten (CDA) und forderten Korrekturen an der Rente ab 67. Ob Seehofer mit dem Vorstoß tatsächlich einen Kurswechsel einleiten will, ist allerdings fraglich. Viele, die ihm inhaltlich zustimmen, gehen davon aus, dass es dem CSU-Chef eher darum geht, dass sein Name in der Bevölkerung nicht mit der unsozialen Maßnahme verbunden wird.
Entsprechend scharf hielt LINKE-Chef Klaus Ernst dagegen: Seehofer versuche, sich »nach der Haltet-den-Dieb-Methode aus der Verantwortung zu stehlen«, kritisierte er und tituliert ihn weiter als »Rentenräuber«. Würde Seehofer es ernst meinen, so der LINKE-Chef, müsste er umgehend eine Bundesratsinitiative zumindest für die Aussetzung der Rente ab 67 starten. Doch so konkret wird Seehofer auch diesmal nicht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.