Epilepsie bei Senioren meist nicht erkannt
Unklare Symptome werden aufs Alter geschoben - oft haben Patienten nur kleine Aussetzer
Entstelltes Gesicht, Krämpfe und Zuckungen - so ähnlich stellen sich viele Menschen einen epileptischen Anfall vor. Dabei sind die Symptome bei Epilepsie ausgesprochen vielfältig. Gerade bei Senioren kommen spektakuläre Anfälle selten vor: »Oft haben sie nur kleine Anfälle, die sich zum Beispiel in kurzen Abwesenheitszuständen äußern«, sagt der Epilepsie-Experte Hermann Stefan von der Uni Erlangen. Das sei einer der Gründe, warum die Krankheit im Alter häufig nicht erkannt werde.
»Die Wahrscheinlichkeit, an Epilepsie zu erkranken, nimmt mit dem Alter zu«, erklärt Walter Fröscher vom Epilepsiezentrum Bodensee in Ravensburg. Während in der Gesamtbevölkerung 0,5 bis ein Prozent betroffen seien, seien es in der Gruppe der über 75-Jährigen etwa 1,5 Prozent und bei den über 85-Jährigen sogar 2,5 Prozent. Fröscher zufolge sind Epilepsien damit nach Schlaganfällen und Demenzen die dritthäufigste Krankheit des Gehirns im höheren Lebensalter. »Das liegt zum einen an der höheren Lebenserwartung«, sagt der Neurologe. Zum anderen überlebten heute immer mehr Menschen einen Schlaganfall. Der erhöht das Risiko für epileptische Anfälle entscheidend: Vier bis neun Prozent der Patienten erkranken später an Epilepsie.
Bei Epilepsie, die früher auch Fallsucht genannt wurde, kommt es aufgrund von elektrischen Entladungen im Gehirn zu Krämpfen. Manchmal verlieren die Patienten kurz das Bewusstsein und stürzen, manchmal bleiben sie wach. Mitunter leiden sie an Muskelkrämpfen oder zittern am ganzen Körper, manchmal nur in einem Bereich. Nicht selten sind die Patienten nur ein paar Momente wie abwesend.
Eine ganze Reihe von Gründen trägt dazu bei, dass Epilepsie bei alten Menschen seltener diagnostiziert wird. »Sie leben oft allein, so dass niemand den Anfall beobachtet. Die Betroffenen selbst merken oft gar nicht, dass sie kurz verwirrt waren«, sagt Fröscher. Treten die Anfälle nachts auf, werden sie um so seltener bemerkt. Außerdem neigen sowohl Senioren als auch ihre Angehörigen dazu, unklare Symptome auf das Alter zu schieben. Bei verwirrten Senioren werde zu selten ein EEG gemacht, kritisieren Experten. Das Elektroenzephalogramm zeichnet die elektrische Aktivität des Gehirns auf und sei oft auffällig.
Den Angehörigen raten Neurologen, einen alten Menschen gleich zum Arzt zu schicken, wenn ihnen an seinem Verhalten etwas seltsam vorkommt: »Wenn ein Patient zum Beispiel eine Sprachstörung hat, die mehrere Minuten andauert und von der er selbst gar nichts merkt, ist das sehr suspekt«, sagt Stefan. Auch kurze Zuckungen in Arm oder Gesicht könnten ein Hinweis auf Epilepsie sein. Die Krankheit lässt sich mit Medikamenten gut behandeln. Bei richtiger Therapie würden die meisten der älteren Patienten anfallsfrei, meint Fröscher. Weil Leber und Niere im Alter langsamer arbeiteten, sei es aber wichtig, die Medikamente sehr vorsichtig zu dosieren.
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