Die XXL-Party ist vorbei
Deutsche Wirtschaft bewegt sich nach Wachstumsrausch auf Rezession zu
Die Finanzkrise und die Sparprogramme in zahlreichen Ländern des Euroraums schlagen nun auch auf die deutsche Wirtschaft durch. In den letzten drei Monaten des Jahres 2011 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) preis-, saison- und kalenderbereinigt um 0,25 Prozent gegenüber dem dritten Quartal, wie das Statistische Bundesamt nach vorläufigen Schätzungen am Mittwoch in Wiesbaden bekanntgab. Im Gesamtjahr habe sich die Wirtschaft, so Bundesamtsschef Roderich Egeler, mit einem BIP-Wachstum von drei Prozent noch »sehr robust« gezeigt.
Mittlerweile hat Deutschland den halben Weg in die Rezession zurückgelegt - davon sprechen Ökonomen, wenn die Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft. Für das Gesamtjahr rechnen die meisten Konjunkturforscher mit einem minimalen Wachstum oder einer Stagnation. Die Volkswirte der Deutschen Bank erwarten sogar eine Rezession. Und das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung errechnet in einem Risikoszenario eine BIP-Schrumpfung um 1,5 Prozent für den Fall, dass sich die Lage in den Euro-Krisenländern weiter verschärft und noch drastischere Kürzungsprogramme folgen.
Dass Deutschland besonders schnell vom »Aufschwung XXL«, wie Ex-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) Ende 2010 tönte, in die Stagnation wechselt, liegt an der eingeschlagenen wirtschaftspolitischen Strategie. Während die Wirtschaft besonders stark vom Export abhängt, lebt der Binnenmarkt quasi unter seinen Verhältnissen: Die Löhne sind seit Jahren kaum gestiegen oder gar gesunken, zudem wurde ein riesiger Niedriglohnsektor aufgebaut, weshalb deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt extrem wettbewerbsfähig sind. Läuft es im Ausland gut, profitieren sie überproportional. Wenn aber wie jetzt wichtige Exportmärkte in Euroland oder in den USA schrumpfen, geht es rasant bergab.
Auch vom jetzt zu Ende gehenden Aufschwung profitierten die Beschäftigten kaum. Auf dem Binnenmarkt verzeichneten die Unternehmensinvestitionen die höchsten Wachstumsraten. Mit der Konjunkturschwäche werden die aufgestockten Kapazitäten aber nicht ausgelastet sein, was mit Verzögerung Entlassungen nach sich ziehen wird - oder die Beschäftigten arbeiten weniger. Kein Wunder also, dass die Gewerkschaften bereits nach einer Neuauflage des erweiterten Kurzarbeitergeldes rufen, das in der Rezession 2009 half, Massenentlassungen zu vermeiden: Man müsse darauf »vorbereitet sein, dieses Instrument wieder zu brauchen«, sagte DGB-Chef Michael Sommer am Mittwoch in Berlin. Und Michael Schlecht, Chefvolkswirt der Linksfraktion, forderte »massive Lohnerhöhungen und ein sozial-ökologisches Zukunftsprogramm«. Davon hänge ab, ob es tatsächlich zur Rezession kommt. Tagesthema Seite 2
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