Der falsche Fritz
Als Friedrich II. starb, war er nicht tot
In den Sammlungen des Potsdamer Filmmuseums befindet sich eine Perücke. Der Schauspieler Otto Gebühr trug sie, sooft er für die Ufa als Friedrich II. vor die Kameras trat - zwischen 1920 und 1942 verkörperte er den Preußenkönig in insgesamt 15 Streifen. Unter anderem diese Perücke wird in der Sonderausstellung zu sehen sein, die im Marstall von Brandenburgs Landeshauptstadt am 300. Geburtstag Friedrichs, am Dienstag kommender Woche eröffnet. Kuratiert hat die Ausstellung »Der falsche Fritz. Friedrich II. im Film« der Filmwissenschaftler Guido Altendorf. Es wäre absurd, sagt Altendorf, würde das Potsdamer Museum gerade in diesem, dem Hohenzoller gewidmeten Jahr, »das Thema Friedrich nicht bedienen«. Recht hat er, wie wir sehen werden. Besagte Perücke übrigens musste Altendorf in den zurückliegenden Wochen auf Wunsch von Fotografen bereits mehrfach vorzeigen. Jedes Mal, wenn er sie berührte, trug er weiße Baumwollhandschuhe: So geht man um mit historischen Sachzeugen, zumindest in Museen - respektvoll, schonend, schützend, bewahrend. Im Alltag politischer Umbrüche wird bekanntlich das Gegenteil praktiziert.
Wir wollen hier nicht mit Friedrichs Geburtstag, sondern mit seinem Tod beginnen. Als er am 17. August 1786 krank und einsam in Sanssouci starb, folgte zwar kein politischer Umbruch, doch ging eine Ära zu Ende. In den Straßen und Gassen Berlins hörte man kein »Gott hab’ ihn selig«, stattdessen lief ein »Gott sei Dank, das alte Ekel ist endlich tot!« um die Ecken der Quartiere. Die da aufatmeten, irrten gewaltig. In seinem Buch »Friedrich der Grosse« formulierte Tillman Bendikowski es so: »Die Biografie einer historischen Gestalt endet gerade nicht mit ihrem Tod.« Die Geschichte kennt dafür viele Belege - das Nachleben jenes Preußenkönigs, der in diesem Jahr 300 würde, war mit Sicherheit das verheerendste.
Nun darf man die Frage stellen: Welchen Einfluss kann ein Verstorbener denn noch auf sein Nachleben nehmen? Die klare Antwort: gar keinen. Was nicht heißt, dass Friedrich zu Lebzeiten an eben diesem Nachleben nicht fleißig gebastelt hätte. Zwar war er, der Aufgeklärte, in nüchterner Einsicht davon überzeugt »… nach dem Tode nihil est«, doch behagt hat ihm diese Aussicht nicht. Im Licht jüngerer Forschungen, besonders der von Jürgen Luh, erscheint das Streben nach Ruhm und Nachruhm, nach einem Platz in der Weltgeschichte als konstituierendes Moment der Persönlichkeit des Königs. Ein sich überlegen Fühlender, der sich über seinen Geburtsstand hinaus als »der Große« inszenierte. Unter diesem Blickwinkel lassen sich auch die scheinbaren Widersprüche, die Extreme in seinem Leben zusammendenken.
Es soll Voltaire gewesen sein, der den Kronprinzen via Brief als Erster mit »grand prince« ansprach und ihm nach dessen Thronbesteigung mit dem erhöhenden Beinamen »Frédéric le Grand« schmeichelte. Aus dem Verlauf der Korrespondenz geht jedoch hervor, dass Friedrich den Philosophen zu solchen Huldigungen freundlich ermutigt, sie ihm in den Mund geschoben hatte. Und - was für eine Überraschung! - wenn die Berliner »ihren« König in der Zeit der Schlesischen Kriege bei dessen »Einholung« Unter den Linden mit »Fridericus-Magnus«-Rufen willkommen hießen, dann liefen diese Jubelveranstaltungen keineswegs ohne Drehbuch ab - auch dafür gibt es Zeugnisse. Friedrich hat also selbst dafür gesorgt, dass man sich nach seinem Tod an ihn erinnerte. In gewisser Weise war er wie ein Gemischtwarenladen - für jeden etwas im Regal. Und beinahe jeder griff zu. Je nachdem, welchen Friedrich man brauchte, wie er die eigenen politischen Interessen bediente, steckte man sich den feingeistigen Intellektuellen, den selbstlosen Staatsdiener oder den militärischen Helden ins Einkaufsbeutelchen. Dann peppte man ihn so auf, dass man mit ihm - im Sinne des Wortes - Staat machen konnte. Mit der historischen Gestalt hatte der wiederbelebte Friedrich dann oft kaum mehr als die Perücke gemein.
Friedrichs Zeitgenossen, wie gesagt, scheinen erst einmal genug von ihm gehabt zu haben. Unmittelbar nach dem Hinscheiden des »boshaften Trolls« (Thomas Mann) setzte - wie auch bei Despoten üblich, die nicht von der Hand des dunklen Gevatters, sondern vom Volk gestürzt werden - eine öffentliche despektierliche Diskussion seines Charakters ein, die mit »Enthüllungen« einherging. Ins Zentrum der Kritik rückte sodann sein autoritärer, beratungsresistenter Regierungsstil, der auf Deutschland »nur verderblich« gewirkt habe (Ernst Moritz Arndt). 1806, mit dem Einzug Napoleons in Berlin, der den Untergang des alten Preußens besiegelte und die Notwendigkeit von Reformen auf die Agenda setzte, distanzierte man sich von Friedrich. Sein 100. Geburtstag am 24. Januar 1812 verlief dementsprechend still.
Doch schon nahte die Zeit für Friedrichs Comeback. Hatten die Befreiungskriege von 1813 bis 1815 das gedemütigte preußische Selbstbewusstsein wieder etwas aufgepäppelt, änderte 1840 die Überführung der Leiche Napoleons von St. Helena nach Paris die offizielle preußische Erinnerungspolitik: Nun wollte man selbst wieder einen Großen, besser noch: einen Größeren. Schon vier Jahre zuvor hatte Friedrich Wilhelm III. den Bildhauer Christian Daniel Rauch beauftragt, ein Großdenkmal Friedrichs II. zu entwerfen und auszuführen. Fertiggestellt und Unter den Linden enthüllt wurde das Denkmal allerdings erst 1851 - nach der bürgerlich demokratischen Revolution von 1848/49, deren Lager sich in der Erinnerung an Friedrich schieden: Galt er den Liberalen als Geist der Freiheit, mussten die Konservativen ihn ablehnen. Solche Polarisierung sollte typisch bleiben: Im Kaiserreich, das den Patrioten erfand und Friedrichs 200. Geburtstag mit säbelrasselndem Bombast beging, um Begeisterung für den bevorstehenden Krieg zu wecken, wie auch in der Weimarer Republik, in der die Demokratiegegner ihn zu ihrer Ikone erwählten. Kritik kam aus dem linken Lager. So wandte sich Carl von Ossietzky 1921 in der »Berliner Volks-Zeitung« an die Rechtsnationalen: »Er würde euch bitter enttäuschen, wenn er wiederkäme. Denn er fühlte sich wahrlich nicht als Deutscher. Seine Bildung war französisch; die deutsche Sprache verschaffte ihm Bauchgrimmen. Er würde euch nicht passen, denn er war aufgeklärt.« So, so. Und Ossietzky fuhr fort: »Respektiert seinen Schlaf und bemüht ihn nicht zu einem Werk, das er verachtet hätte.« Abgesehen davon, dass Ossietzky das nicht wissen konnte - er wurde nicht gehört.
Die Nationalsozialisten hatten Friedrich schon früh vereinnahmt. Wobei sie den Aufklärer, seine Vorliebe fürs Französische und womöglich Homosexuelle zweckmäßigerweise vernachlässigten. Spätestens seit dem »Tag von Potsdam« am 21. März 1933, seit jener von Joseph Goebbels inszenierten Schmierenkomödie in der Garnisonkirche, gehörte der Monarch ganz ihnen. Als Hermann Göring ihn 1936 im Berliner Sportpalast für die Rolle des »ersten Nationalsozialisten« besetzte, war längst der völkische Heroe erschaffen - der erhabene Staatsmann, der für die »Heimat« in die Schlacht gezogen war, ihr unter Opfern gedient hatte. Der Vorgänger Adolf Hitlers. Den der »Führers« selbstredend übertraf.
Wie kein anderes Medium transportierte der Film das nationalsozialistische Friedrich-Bild. Deshalb gehört die Schau im Potsdamer Filmmuseum geradezu zwangsläufig zu diesem Jahr 2012. Als Filmstoff war Friedrich allerdings schon in der Weimarer Republik entdeckt worden, und von Anfang an war es der einstige Max-Reinhardt-Schauspieler Otto Gebühr gewesen, der Friedrich Gestik, Gesicht und Stimme geliehen hatte: In »Die Tänzerin Barberina« (1920), »Fridericus Rex. Ein Königsschicksal« (1922/ 23), »Der Alte Fritz« (1927/28), »Das Flötenkonzert von Sanssouci« (1930), »Die Tänzerin von Sanssouci« (1932), »Der Choral von Leuthen« (1933). Anfangs vor allem noch Unterhaltungsfilme, wandelten sich die Produktionen allmählich in Kriegsstücke, in denen Preußen (gemeint war natürlich Deutschland) den Krieg gewann und nicht verlor (wie 1918 geschehen).
Auch sie provozierten heftige, gespaltene Reaktionen: Das breite Publikum jubelte, scharfe Kritik kam dagegen von Seiten Linker. Nach der Premiere von Gustav Ucickys Film »Das Flötenkonzert von Sanssouci« im Berliner Ufa-Palast am Zoo schrieb Siegfried Kracauer, Berliner Büroleiter der »Frankfurter Zeitung«: »Ich hätte noch begriffen, wenn die jungen Burschen unter den Nationalsozialisten, die den Krieg gar nicht kennen, mit Feldgeschrei aufgetreten wären. Aber das Ungeheuerliche war, dass auch Frauen zu toben begannen, Mütter, deren Söhne vielleicht gefallen sind, und dass sie in einen Rauschzustand gerieten, der wider die Natur und die Erkenntnis ist.« Weiter: »Die Massen sind irregeleitet und möchten doch richtig geführt werden. Wenn es nicht gelingt, ihrem Sehnen gute, menschenwürdige Ziele zu geben, werden ihre Explosionen fürchterlich sein.«
Bekanntlich waren sie fürchterlich. In den ersten Filmen, die nach der Machtergreifung der Nazis gedreht wurden - »Der alte und der junge König« (1935), »Fridericus - Der alte Fritz« (1936) - blieb die politische Instrumentalisierung noch zaghaft. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges sollte sich dies ändern. Wenn der von Goebbels zum Staatsschauspieler ernannte Otto Gebühr, neben Heinz Rühmann, Hans Albers und Heinrich George ein der bestbezahltesten und berühmtesten Schauspielergrößen des NS-Reiches, nun als Friedrich über die Leinwand ritt, verkörperte er »Tugenden« wie Gehorsam, Autoritätsglauben, Pflichtgefühl, Opferbereitschaft, Durchhaltevermögen. Während der Dreharbeiten zu »Der große König« (1942) saß quasi nicht nur Veit Harlan, der gerade sein antisemitisches Hetzwerk »Jud Süß« abgeliefert hatte, auf dem Regiestuhl, sondern direkt neben ihm Propagandaminister Goebbels. Die Botschaft des Durchhalteschinkens: Am Sieg zu zweifeln ist Hochverrat! Nachdem Deutschland auch den Zweiten Weltkrieg verloren hatte, der über 50 Millionen Tote kostete, hatte Friedrich nicht nur im Film - zumindest vorerst - ausgedient.
Über all das informiert die Potsdamer Ausstellung. Kurator Altendorf hat die Schwerpunkte gesetzt: König und Mythos, König und Propaganda, König und Kommerz. Da Altendorf sich auf die Mitarbeit von Otto Gebührs Sohn, Dr. Michael Gebühr, stützen konnte, unternimmt die Schau auch den Versuch, die Person des Friedrich-Darstellers etwas von seinen Filmen zu lösen. Wenn dies denn möglich ist, warum nicht? Man erfährt, dass Otto Gebühr sich nicht, wie damals kolportiert, auch privatissimum wie der König aufführte, sondern eher ein liberaler, die Laute spielender Bohemien war. Die Rolle, die er im nationalsozialistischen Film verkörperte, bewertet der Sohn in einem von ihm erdachten Interview. Da fragt die fiktive Reporterin Otto Gebühr: »… Haben Sie sich nie Gedanken darüber gemacht, wem Sie damit nützen und was Sie für eine Verantwortung übernehmen?« Darauf Gebühr: »Verzeihen Sie, Sie kommen aus der Zukunft, nicht wahr?« Will heißen: Was wissen Sie denn? Ich wollte nur spielen! Und sind Sie sicher, dass auch Sie nicht in einem Perückenfilm mitspielen, von dem Sie nicht wissen, wie er ausgeht?
Indem wir darüber nachdenken, hat es Friedrich doch tatsächlich in unsere Gegenwart geschafft.
Tillmann Bendikowski: Friedrich der Grosse. C. Bertelsmann-Verlag, 331 S., geb., 19.99 €.
Jürgen Luh: Der Große. Friedrich II. von Preußen. Siedler-Verlag, 288 S., geb., 19,99 €.
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