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Nicht wie Schafe zur Schlachtbank
Jüdischer Widerstand - jüdische Helden
Am 3. Oktober 1932 bedankte sich Reichspräsident Paul von Hindenburg schriftlich beim Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten für die Zusendung eines Buches, das den Titel trug »Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der Deutschen Schutztruppen 1914-1918. Ein Gedenkbuch«. Er schrieb: »In ehrfurchtsvoller Erinnerung an die auch aus Ihren Reihen für das Vaterland gefallenen Kameraden nehme ich das Buch entgegen und werde es meiner Kriegsbücherei einverleiben.«
Nur knapp drei Monate später begann mit der Machtübergabe an die Nazis, an der Hindenburg einen maßgeblichen Anteil hatte, ein Prozess der Demütigung und Entrechtung der jüdischen Mitbürger, die, wenn sie nicht emigrieren oder untertauchen konnten, letztlich in den auch unter dem Schutz der Wehrmacht von den Nazis betriebenen Vernichtungslagern umgebracht wurden. Die Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik machte auch vor den jüdischen Frontsoldaten nicht Halt, deren Reichsbund nach einer kurzen Zeit der versuchten Anpassung bis zu seinem Verbot 1938 einen aussichtslosen Kampf um die Akzeptanz und schließlich nur noch um den Schutz der jüdischen Frontkämpfer führte.
Juden haben im Ersten Weltkrieg in allen Armeen der Länder gekämpft, die sie ganz selbstverständlich als ihre Vaterländer angesehen hatten; der französische Jude war zuerst Franzose, der deutsche Jude zuerst Deutscher ... Sicher spielte auch für viele der Gedanke eine Rolle, endlich als gleichberechtigter Staatsbürger anerkannt zu werden, denn Ressentiments gegenüber den Juden waren überall und zu jeder Zeit zu spüren. Für Deutschland fielen in diesem Ersten Weltkrieg 12 000 Juden, das waren 2,1 Prozent der 1914 in Deutschland lebenden 555 000 Juden.
Über alles das erzählt das von Michael Berger und Gideon Römer-Hillebrecht herausgegebene Buch, in dem auch viel über den »Verband Jüdischer Soldaten in der Bundeswehr« zu erfahren ist, der sich - bis hin zum Titel der Vereinszeitschrift »Der Schild« - in der Tradition des Reichsverbands Jüdischer Frontsoldaten versteht. Es ist dies eine gute Tradition, zumal die Bundeswehr lange auch auf sehr »fragwürdigen Traditionsbeständen« (Hannah Arendt) gründete.
Der »Nationalsozialismus« gehört zu den am besten erforschten »Phänomenen« des 20. Jahrhunderts. Vom jüdischen Widerstand gegen dieses System des Verbrechens gilt das so uneingeschränkt nicht. Es ist das große Verdienst der Herausgeber, sachkundige Autoren vereint zu haben, die diesen Widerstand eingehend würdigen. Denn eine der letzten Legenden über die Juden ist die, dass diese sich angesichts ihrer bevorstehenden Vernichtung, der Shoah, passiv verhalten hätten, sich wie das biblische Lamm widerstandslos zur Schlachtbank führen ließen. Auch jüdische Autoren erhoben diesen Vorwurf, so z. B. der Historiker Raoul Hillberg, der die erste Gesamtschau auf die Vernichtung der europäischen Juden versuchte, oder Hannah Arendt, die die von den Nazis eingesetzten Judenräte der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt hatte. Dem ist allerdings entgegenzusetzen, dass diese von einem moralischen Rigorismus bestimmten Vorwürfe der historischen Realität nicht gerecht werden. Der Dresdner Historiker Peter Fisch, der in dem Buch mit dem umfangreichsten und auch die komplizierten Strukturen des nationalen Widerstands gegen die deutsche Besatzungsmacht analysierenden Beitrag über »Deutsche Juden in der französischen Résistance« vertreten ist, betont: Wenn die komplette Vernichtung einer genau definierten Gruppe von Menschen geplant und im Vollzug ist, dann ist auch die Flucht ins Exil, die Illegalität oder das Untertauchen letztlich eine Widerstandshandlung. Denn »dem Juden war der Tod im Vernichtungslager sicher, gerade dann, wenn er passiv gegenüber dem NS-System blieb.«
10 000 deutschsprachige Juden kämpften in der britischen Armee, ca. 9500 in den US-Streitkräften, groß war die Zahl deutscher und österreichischer Juden, die, wie Berger berichtet, an der Seite der Republikanern im Spanischen Krieg kämpften. An den militärischen Operationen der Anti-Hitler-Koalition und ihrer Verbündeten gegen Nazi-Deutschland nahmen, als Kombattanten, Partisanen oder Spezialisten, ca. 1,4 Millionen jüdische Kämpfer teil. Unbekannt bleibt die Zahl derer, die in den Vernichtungslagern aufbegehrten und umkamen. Jüdischer Widerstand musste oft isoliert in einem antisemitischen Umfeld agieren. Berger erinnert an den Aufstand im Warschauer Ghetto, der am 19. April 1943 begann, ausgelöst dadurch, dass die Warschauer Juden unter der Leitung ihrer Militärorganisation eben nicht wie Lämmer zur Schlachtbank geführt werden wollten; er blieb, abgesehen von der Unterstützung durch die kleinere der beiden polnischen nationalen Widerstandsorganisationen, die kommunistische Gwardija Ludowa, weitestgehend isoliert und konnte von den zahlen- und waffenmäßig überlegenen Deutschen relativ schnell niedergeschlagen werden.
Der Literatur-Nobelpreis-Träger Czesław Miłosz, beschämt über die antijüdischen Ressentiments seiner Mitbürger, klagte in seinem Gedicht »Campo de Fiori«, sich der Metapher des mit dem vor den Mauern des brennenden Ghettos sich drehenden Karussells (das wirklich so existierte) bedienend: »Der Wind trieb zuweilen schwarze/Drachen von brennenden Häusern/Die Schaukelnden fingen die Flocken/Im Fluge aus ihren Gondeln/Der Wind von den brennenden Häusern/Blies in die Kleider der Mädchen/Die fröhliche Menge lachte/Am schönen Warschauer Sonntag.«
Die Angehörigen der Berliner Gruppe um Herbert Baum, die am 18. Mai 1942 einen Brandanschlag auf die Ausstellung des Goebbelsschen Propagandaministeriums »Das Sowjetparadies« wagten, waren als Juden und Kommunisten doppelt gefährdet. Sie riskierten ihr Leben, um zu zeigen, dass sie das andere, das bessere Deutschland verkörpern.
Wer sich für Antifaschismus, jüdische Geschichte, Shoah, Antisemitismus und Erinnerungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland interessiert, für den sollte dieses Buch im Kanon der unbedingt zu lesenden Bücher enthalten sein.
Michael Berger/Gideon Römer-Hillebrecht: Jüdische Soldaten - Jüdischer Widerstand in Deutschland und Frankreich. Schöningh Verlag, Paderborn 2012. 572 S., geb., 49,90 €.
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