Links von der Mitte und wertkonservativ

MEDIENgedanken: Christliche Kirchen, Meinungsfreiheit und Kritik - 40 Jahre »Publik Forum«

  • Gerhard Klas
  • Lesedauer: 4 Min.

Provokation, Herausforderung und Stein des Anstosses - das will die Zeitschrift »Publik Forum« sein. Und das war sie auch schon oft: Sie bot dem katholischen Theologen Hans Küng ein Forum, als ihm die Amtskirche die Lehrerlaubnis entzog, ebenso dem vom Priesteramt suspendierten Eugen Drewermann. »Publik Forum« veröffentlichte die Thesenpapiere des lateinamerikanischen Befreiungstheologen Leonardo Boff, als ihm ein Redeverbot auferlegt wurde und berichtete als eine der Ökumene verpflichtete Zeitschrift über Niedriglöhne in Unternehmungen des Diakonischen Werkes. Seit 1972 erscheint die größte unabhängige christliche deutschsprachige Zeitschrift alle zwei Wochen - oft genug zum Ärgernis der Kirchenhierarchen.

Manche Bistümer - etwa in Köln und in Regensburg - haben ihre Mitarbeiter dazu angehalten, Publik Forum weder zu lesen noch auf Anfragen zu antworten, so Wolfgang Kessler, der seit 1999 amtierende Chefredakteur. Der Grundstein für die kritische Haltung der Zeitschrift, die sich bis heute wie ein roter Faden durch die Berichterstattung zieht, wurde 1972 gelegt, sagt der heute 80 jährige Harald Pawlowski, Mitgründer und erster Redakteur. Vor der Gründung von Publik Forum hatte er für die Wochenzeitung »Publik« gearbeitet, eine Zeitschrift, die sich dem Zweiten Vatikanischen Konzil verpflichtet fühlte, den Dialog mit Andersgläubigen und der Welt vorantreiben wollte. »Publik« wurde von der katholischen Bischofskonferenz finanziell gefördert. Aber schon drei Jahre nach der Gründung - Ende 1971 - musste die Wochenzeitung ihr Erscheinen einstellen. »Die Bischöfe konnten ihr Produkt gewissermaßen nicht mehr aushalten - sie meinten, die Rechtgläubigkeit - die katholische - wäre in Gefahr«, erklärt Pawlowski.

Die katholische Bischofskonferenz legte damals den Rückwärtsgang ein und unterstützte fortan den konservativen »Rheinischen Merkur«. Vor allem an den theologischen Hochschulen, damals wie viele andere Fakultäten durch die Studentenbewegung geprägt, regte sich Protest. Bald war klar: eine neue, unabhängige Zeitschrift musste her. Innerhalb weniger Wochen wurden 7000 Unterschriften von kritischen Christen gesammelt, die ein solches Projekt unterstützen wollten.

Bis heute ist »Publik Forum« unabhängig von Bischöfen, aber auch von Banken und Großverlagen. Die Zahl der Abonnenten ist auf 36 000 gestiegen, das Grundkapital der Zeitschrift wird von einer Leserinitiative gestellt. Neben der Redaktion im hessischen Oberursel unterhält Publik Forum seit 1999 ein Hauptstadtbüro und beschäftigt acht festangestellte Redakteure. Vierzig Prozent der Abonnenten sind heute evangelischen Glaubens. Anders als in den ersten Jahren arbeitet sich die Zeitschrift nicht mehr so sehr an der katholischen Kirche ab, sondern ist inhaltlich breiter aufgestellt, meint Wolfgang Kessler. »Heute diskutieren wir weniger über die Kirchen als über Glaubensfragen«, so Kessler. »Können wir noch an einen Gott glauben, der irgendwo in die Welt eingreift, oder ist dieser Glaube nicht mehr vermittelbar?« Solche Fragen würden in den Kirchen nicht mehr diskutiert, so der Chefredakteur. »Religiöses Engagement ist aus unserer Sicht nötig, um die kommenden Bedrängnisse in der Welt überhaupt zu meistern«, führt Kessler aus. Deshalb gehörten auch politische Fragen zum Repertoire von Publik Forum.

Mit Wolfgang Kessler, dem studierten Sozialwissenschaftler und Ökonomen, der kurz auch einmal für den Internationalen Währungsfonds tätig war, hat die Debatte um gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus in Publik Forum neue Nahrung bekommen. »Der Materialismus ist zur wirklichen Weltreligion geworden, zumindest zur Religion in den modernen Industrieländern«, so Kessler. Aber diese Religion überzeuge nicht mehr, denn »die Steigerung des materiellen Lebensstandards, an die sich die Menschen gewöhnt haben, wird so nicht weiter gehen«. Die Rohstoffe werden knapper, sie werden teurer. »Wenn diese Religion einbricht, brauchen wir eine andere Spiritualität, einen anderen Glauben, um das neue Leben zu meistern und um unter den Bedingungen knapper Mittel eine neue Form von Gerechtigkeit zu schaffen. Wir orientieren uns an den Erfahrungen der Armen, der Ausgrenzten, der Unterdrückten und am Erhalt der Lebensgrundlagen«, so Kessler, »damit stehen wir sicherlich links von der Mitte.« Bei anderen Themen - etwa Abtreibung und Sterbehilfe - vertrete Publik Forum eher wertkonservative Ansätze.

Der »Rheinische Merkur«, der Konkurrent der Zeitschrift »Publik Forum«, musste 2010 sein Erscheinen einstellen, weil ihm die deutsche Bischofskonferenz das Geld gestrichen hat. »Publik Forum« hat - dank seiner Unabhängigkeit, auch der finanziellen - überlebt.

Der Autor ist freier Journalist in Köln.

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