Zwillinge sollen helfen
Studie schafft Grundlagen für neue Therapien bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
»Hoffentlich lässt sich für uns alle mal ein Medikament entwickeln. Von Heilung wollen wir gar nicht reden; einfach nur eine lange, lange Ruhepause wäre super.« W. W. hat 2008 im Cröhnchen-Klub, einem Selbsthilfeforum im Netz, von Forschungen gehört, die Hoffnungen auf eine ursächliche Therapie ihrer chronisch entzündlichen Darmerkrankung nähren. Dazu gehören die Colitis ulcerosa und der Morbus Crohn, benannt nach dem US-amerikanischen Darmspezialisten Burril Bernard Crohn, der die Erkrankung in den 1930er-Jahren beschrieb. Charakteristisch für den Crohn ist die stellenweise Entzündung des Dünndarms; er kann aber auch den gesamten Magen-Darm-Trakt befallen - von der Mundhöhle bis zum After. Die Colitis ist auf den Dickdarm begrenzt. Beide Krankheiten können von Gelenk- und Hautproblemen begleitet werden. Sie verlaufen oft in Schüben. Die Diagnose liefern eine Dickdarmspiegelung, Röntgenbilder und Labortests.
Übelkeit, Bauchschmerzen, Schwächegefühl und krampfartige Durchfälle plagen die Betroffenen; entzündungsbedingte Einengungen des Darms können stationäre Aufenthalte mit chirurgischen Eingriffen nötig machen. An CED Erkrankte haben ein erhöhtes Risiko, Darmkrebs zu entwickeln. Eine Behandlung, die die Krankheitsschübe verhindert, gibt es nicht. Die Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr unterdrücken, kann die Entzündung eindämmen; Cortisol etwa zieht die Knochen der Betroffenen und die Hormonproduktion ihrer Niere in Mitleidenschaft.
»Wir therapieren leider nicht die Ursache, sondern die Entzündung«, klagte Jan Wehkamp, Gastroenterologe am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart, anlässlich des Crohn-&-Colitis-Tages. Er informierte eine breitere Öffentlichkeit über die CED.
Weil Crohn und Colitis auf Medikamente ansprechen, die die Immunabwehr unterdrücken, lag es nahe, sie als Autoimmunerkrankungen zu sehen. Seit zehn Jahren vollzieht sich nun ein Wechsel im Verständnis der CED. Wehkamp hat daran mitgewirkt. »Bei dieser Krankheit greift der Körper sich selbst nicht an«, ssagt er. Es gehe um eine durch genetische Veränderungen ausgelöste Barrierefunktionsstörung der Darmschleimhaut mit einem fatalen Mangel an körpereigenen antibakteriellen Substanzen; Bakterien dringen in die Darmschleimhaut ein und lösen Entzündungsprozesse aus - ursächlich ist nicht zu viel, sondern zu wenig Immunabwehr.
»Ideal wäre es«, so Wehkamp, »das Immunsystem gegen Mikroorganismen so stärken zu können, dass die Unterdrückung der Immunantwort nur noch in seltenen Fällen notwendig sein wird.« Durch das Verständnis der molekularen Mechanismen der CED könnten neue Behandlungsverfahren entwickelt werden. Vielversprechend ist eine Studie mit Zwillingen, bei denen einer an CED erkrankt ist; sie wird von dem stark frequentierten Darmspezialisten Andreas Raedler am Asklepius Westklinikum in Hamburg-Rissen gemeinsam mit Stefan Schreiber vom Institut für Klinische Molekularbiologie am Kieler Universitätsklinikum durchgeführt. Schreiber, ebenfalls Pionier in der Neubewertung der CED, betrieb vor Jahren die Gründung der Conaris Research Institute AG, die u.a. bei CED die Therapiesuche verstärken und deren Ergebnisse vermarkten will.
Es geht aber nicht nur um neue Therapien. Heute, so die Initiatoren des Crohn-&-Colitis-Tages, sei die Versorgung der CED-Patienten leider »nicht flächendeckend überall gleich gut gesichert«. Der Wechsel der Patienten von spezialisierten Kliniken etwa in die ambulante Versorgung könne mit einem Bruch der Behandlung einhergehen. Betroffene müssten bisweilen selber dafür sorgen, dass Untersuchungsergebnisse weitergegeben, Behandlungsstrategien eingehalten werden. Nötig seien hoch spezialisierte und gut vernetzte CED-Zentren mit Fallkonferenzen und effektivem Schnittstellenmanagement in der anschließenden Versorgungskette.
www.kompetenznetz-ced.de, www.dccv.de, www.croehnchen-klub.de, www.dgvs.de (Leitlinien der Diagnostik und Behandlung)
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