Polizeistunde bei Lübecks Bürgerfunk
Radioinitiative spricht von Sendekontrolle
Kann einem führenden Mitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ausgerechnet bei einem brisanten Polizeieinsatz eine Sendezeit beim Lübecker Bürgerfunk eingeräumt werden? Für die Verantwortlichen des Offenen Kanals (OK) als Träger der Sendelizenz stellt dies kein Problem dar. Die Freie Radioinitiative Schleswig-Holstein, ein Zusammenschluss kritischer Hörfunkmacher, ist dagegen empört.
Seit einigen Jahren melden Neonazis in Lübeck anlässlich des Jahrestages alliierter Bombenangriffe im Frühjahr 1942 stets einen die Wahrheit verdrehenden Gedenkmarsch an, um die historischen Geschehnisse für ihre Propaganda zu instrumentalisieren und zu missbrauchen. Dieses Jahr steht nun am 31. März diese braune Demonstration an, die wieder mehreren tausend Polizeibeamten und BGS-Bediensteten den Überstundenzettel auffüllt. Immer wieder war das Vorgehen der Polizei bei Protesten gegen den neofaschistischen Aufzug Streitgegenstand, etwa im Vorjahr, als es einen massiven Pfeffersprayeinsatz gegen Gegendemonstranten vor einem Gotteshaus gab.
Berichte zur Lage
In den vergangenen Jahren war an jenen Tagen nachmittags über den Bürgerfunk ein Programm zu hören, das live über die aktuellen Geschehnisse auf den Straßen der Hansestadt informiert hatte. Dazu gehörten auch Durchsagen zur Lage, wo sich die rechtsgerichteten Marschierer bewegten, zu Sammelpunkten der Gegendemonstranten. Die Polizei hingegen arbeitete mit einem Bürgertelefon.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass den Ordnungshütern die Hörfunksendung, bei der auch kritisch über den Polizeieinsatz berichtet wurde, ein Dorn im Auge ist. Jetzt beansprucht die Polizei selbst einen Teil der Sendezeit. Sie komme aber nicht dienstlich, sondern schicke zwei Uniformierte als Privatpersonen, heißt es von den Kritisierten. Einer der angemeldeten Moderatoren ist Manfred Börner, stellvertretender Landesvorsitzender der GdP. Gegenüber dem federführenden Offenen Kanal legte er dar, dass er unter anderem Kollegen und Angehörige von Beamten zu Wort kommen lassen will, die sich an diesen Tag in Lübeck im Einsatz befinden.
Die Freie Radioinitiative sieht hingegen den Versuch einer gesteuerten Berichterstattung und letztlich eine Sendekontrolle sowie Beeinflussung, ja wenn nicht gar Beschneidung der Medien-Unabhängigkeit. In einer Stellungnahme der Initiative heißt es: »Anstatt die demokratische Aufgabe eines Offenen Kanals ernst zu nehmen, nach journalistischen Kriterien über politische Ereignisse zu berichten und dabei auch das Verhalten staatlicher Stellen kritisch zu beleuchten, soll die Berichterstattung direkt in Polizeihand genommen werden.«
Bei diesem Beispiel handele es sich um den »unverfrorenen Versuch, einen staatlichen Verlautbarungsrundfunk durchzudrücken« und damit um einen Verstoß gegen das Grundgesetz, fügt die Freie Radioinitiative hinzu.
Wie viele Wasserwerfer?
Auf Nachfrage räumt die GdP ein, dass die Idee zur Sendebeteiligung aus ihren Reihen stammt. Eine parlamentarische Anfrage der Grünen im Mai 2011 brachte ans Tageslicht, dass die Lübecker Polizeiführung im vergangenen Jahr während der Sendung beim Offenen Kanal telefonisch zu intervenieren versuchte. Demnach forderte sie, die angeblich wahrheitswidrige Berichterstattung sofort zu unterlassen, da sie zu einer eskalierenden Wirkung auf das Demonstrationsgeschehen führen würde.
Begründet wurde der Anruf in der Sendezentrale damit, dass eine falsche Anzahl der im Einsatz befindlichen Wasserwerfer genannt wurde. Aus operativen Gründen wollte die Polizei selbst aber keine Zahl dazu nennen.
Übrigens gab es bereits im Januar 2005 in Kiel ein außergewöhnliches »Sendeattentat« bezüglich der geplanten Berichterstattung über eine Neonazi-Demonstration. Nachdem die Polizei dem Sendeleiter mitteilte, man könne nicht die Sicherheit des OK-Gebäudes gewährleisten, ließ der Offene Kanal in der Nacht vor dem Aktionstag und dem geplanten Sendetag das Schloss der Eingangstür austauschen. Die Rundfunkmacher wurden auf diese Weise kurzerhand ausgesperrt.
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