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- Kandidatin Klarsfeld
Niemals aufgeben
»Ach, dass ich nominiert wurde, ist schon Anerkennung genug«, sagt sie und winkt ab. Zusammen mit der CDU und der SPD am Sonntag im Bundestag zu sitzen, den Parteien, die sie immer abgelehnt haben, reicht aus, erzählt sie. Die Frage nach ihrem persönlichen Geltungsbedürfnis wird immer im Raum stehen bleiben, zu oft ist sie in Deutschland auf Ablehnung gestoßen.
Wenn sie spricht, dann schnell, lässt am Satzende öfter das ein oder andere Wort, verschwinden, denn Zeit für die ganze Geschichte bekommt sie nur noch selten, seit ihr Lebenswerk eins geworden ist mit den Verbindungen zur Staatssicherheit der DDR. Eine »SED-Marionette« sei sie gewesen. Alle wollen jetzt von ihr hören, dass die moralischen Maßstäbe, die sie stets an andere angelegt hat, einseitig waren. Nazis in der DDR hätten sie nie interessiert.
Es ging ihr immer um die eine Sache, ihrem Kampf um Gerechtigkeit und ja, es ging um die großen Fische, um die Klaus Barbies und Kurt Lischkas und um Bundeskanzler, alle in und mit der alten Bundesrepublik irgendwie verwachsen. »Die größten Gewaltverbrecher sind damals nun mal alle im Westen gewesen, die wollte ich kriegen«, sagt sie. Dass es auch ein persönlicher Kampf war - Alois Brunner war damals für die Deportation ihres Schwiegervaters aus Frankreich verantwortlich - ist kein Geheimnis. Unterstützung hat sie ausgerechnet aus der BRD nie bekommen, das sitzt immer noch tief.
Heute ist das mit der Anerkennung nicht anders. Außerhalb der Veranstaltungen, die die Linkspartei für sie organisierte, hatte sie wenige Termine, deshalb entfloh sie seit ihrer Nominierung öfter nach Paris zu ihrer Familie. Die anderen Parteien wollten sich nicht mit ihr treffen. Gegen die große Gauck-Einheitsfront hatte sie keine Chance. CDU, FDP, Grüne und SPD werden ihn am Sonntag zum elften Bundespräsidenten wählen, ein Konsenskandidat, da ist für sie kein Platz. Während sich Joachim Gauck am 6. März bei der Linksfraktion im Bundestag vorstellte, gab es für Beate Klarsfeld eine Absage nach der anderen. SPD-Chef Sigmar Gabriel rief zwar an und zollte ihrer Arbeit Respekt, verkündete aber im selben Atemzug, dass seine Partei geschlossen für Gauck stimmen wird, basta. Ausgeladen hat sie dann Frank Walter Steinmeier, auch per Telefon, wie in einer ARD-Reportage über Beate Klarsfeld und Joachim Gauck zu sehen ist. »Sie hätten sich wenigstens einmal anhören können, was ich zu sagen habe. Nun gut, ich nehm das so hin«, hat sie geantwortet. Am anderen Ende der Leitung war da der Hörer schon fast aufgelegt. »Das war ja kurz und bündig.« Als nächstes dann der Korb von den Grünen, obwohl die erst offene Türen signalisiert hatten. Jürgen Trittin, der sich in der Vergangenheit gerne als Gauck-Erfinder inszenierte, schickte ein kurzes Fax an die Linkspartei und das war‘s. Frau Klarsfeld sei ja zu aller Überraschung während der nächsten Fraktionssitzung gar nicht in Berlin und die Grünen bis zum 18. März vom Erdboden verschluckt. Ein Treffen also ausgeschlossen. »So sind Politiker nun mal«, sagt sie, »alles Taktiker.«
Ihre Kandidatur ist für die meisten immer ein großes ABER gewesen. Überall gab es Respekt für ihre Arbeit. Eine mutige Frau, die keine weißen Flecken in der Nachkriegsgesellschaft geduldet hat, keine Frage, aber das reiche nicht fürs Heute. Da macht der Gaucksche Freiheitsbegriff schon mehr her. Der Kampf gegen das Überleben rechten Gedankenguts in der Gesellschaft taugt nicht für die Gegenwart? Dann muss der gestern prall gefüllte Klassenraum des Coppi-Gymnasiums eine Illusion gewesen sein. Beate Klarsfeld diskutiert mit Schülern über alte und neue Nazis - mehr als anderthalb Stunden. Eins sollen sich die jungen Leute merken: »Man darf nie aufgeben, wenn man für seine Überzeugung kämpft.« Am Ende gab es tosenden Applaus.
Morgen sind es 123 Stimmen, die zählen, alles darüber hinaus wäre ihr größter Sieg.
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