Mit Polaroid am Wähler

Oskar Lafontaine kämpft gegen alle. Und für sich

  • Gesa von Leesen
  • Lesedauer: 7 Min.
Für die LINKE kam der vorzeitige Bruch der Jamaika-Koalition wie ein Geschenk. Die Neuwahl im Heimatland von Oskar Lafontaine eröffnet nun den diesjährigen Kampf um drei Landtage - dem Saarland folgen Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. In beiden Ländern will die Partei vom Erfolg an der Saar profitieren.

»Jetzt hab ich warme Hände.« Die ältere Frau strahlt. Eine halbe Stunde lang hat sie bei beißender Kälte Oskar zugehört und geklatscht. Der Spitzenkandidat der Saarländischen Linkspartei Oskar Lafontaine ist nach Burbach gekommen. Mit hoher Arbeitslosenquote und überdurchschnittlich vielen Einwanderern gilt der Saarbrücker Stadtteil als sozialer Brennpunkt. Bei den Kommunalwahlen 2009 wurde die LINKE hier mit 32 Prozent stärkste Partei, bei der Landtagswahl am 30. August 2009 erreichte sie stolze 41 Prozent, während sie in Saarbrücken insgesamt von knapp 25 Prozent der Wähler gewählt wurde. Ein Heimspiel also für Lafontaine, der unter großem Gejohle ruft: »Burbach wählt links!«

Diejenigen, die es an diesem wolkenverhangenen, kalten Spätnachmittag auf den Burbacher Marktplatz gezogen hat, freuen sich über den Besuch von Oskar. Viele sind es allerdings nicht. Die meisten Plakate, auf denen der Auftritt angekündigt war, seien abgehängt worden, heißt es als Erklärung aus der örtlichen Partei. So haben sich vielleicht 60 Frauen und Männer unter dem schmalen, lang gezogenen offenen Dach versammelt, das sich etwas unvermittelt erhebt auf diesem großen betonierten Platz zwischen parkenden Autos, einer grauen 70er-Jahre Bausünde und einer leicht heruntergekommenen Ladenzeile. Einige der Besucher, von denen kaum einer unter 40 Jahre alt sein dürfte, hatten keinen weiten Weg. Sie standen schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn an der Ecke vor der Kneipe »Zum Brünnchen«, wo sie ihren Tagesdurst löschten.

Die Fotoaktion klappt noch immer

Als Lafontaine pünktlich um 17 Uhr eintrifft, geht's zunächst ans Händeschütteln. Sichtlich gut gelaunt schreitet der 68-Jährige von Mann zu Mann, von Frau zu Frau. Im Schlepptau einen Assistenten, der die Aufgabe hat, Oskar und je einen Bürger mit einer Polaroidkamera zu fotografieren. Lafontaine unterschreibt das Foto, das dann mehr oder weniger begeistert eingesteckt wird. Die Fotoaktion ist ein bewährtes Wahlkampfmittel, schon 1994 hat Lafontaine die Kamera eingesetzt. Damals warb er so für die Bundestagswahl und für die saarländische Landtagswahl. Damals noch für die SPD, die er bekanntlich 2005 verließ, unter anderem weil sie ihm zu neoliberal geworden war.

Diese alte Geschichte ist den Burbachern egal. Sie setzen auf Oskar. Der auch. Er erklimmt die kleine Rednerbühne, hält im schneidenden Wind seine Rede, in der er an seine Erfolge aus SPD-Zeiten erinnert. »Wir haben die saarländische Stahlindustrie gerettet«, sagt er, und: »Ich habe im Bundesrat die Initiative von CDU und FDP geblockt, Schichtzuschläge zu besteuern«. Beide Erfolgsmeldungen stammen aus Lafontaines SPD-Zeiten als saarländischer Ministerpräsident beziehungsweise als SPD-Bundesvorsitzender. So macht er klar, dass nicht er, sondern seine ehemalige Partei sich geändert hat.

In seiner Rede hakt Lafontaine ab, wer warum die LINKE wählen soll. Arbeitslose: »Weil wir sagen: Hartz IV muss weg!«. Arbeitnehmer: »Weil wir das Lohndumping beenden wollen«. Rentner: »Weil nur die LINKE für die alte Rentenformel kämpft, die menschenwürdiges Altern ermöglicht.« Frauen: »Weil wir uns nicht nur am Frauentag für gleichen Lohn einsetzen.« Auch wer den anderen Parteien nicht traut, soll die LINKE wählen, weil die gegen Spenden von Großkonzernen an Parteien ist. Lafontaine: »Wir wollen keine gekaufte Politik!« Die Millionärssteuer kommt ebenso gut an wie die kurze Einlassung zur Finanzkrise: »Wir werden davon in Deutschland nicht verschont bleiben. Die LINKE ist die einzige Partei, die die Banken an die Kette legen will.«

Die wählen nicht die LINKE, sondern Oskar

Lafontaine spricht, wie man ihn kennt. Frei, klar und mitreißend. Natürlich populistisch, schließlich ist Wahlkampf und unter freiem Himmel geht es nicht um detaillierte Analysen von Haushaltsentwicklungen. Auf spezielle Landesthemen geht Lafontaine fast gar nicht ein. Ihm geht es ums Große und Ganze. Die LINKE setzt im Wahlkampf an der Saar auf Stimmen von SPD-Wählern. Am besten wäre es, wenn die SPD im Kampf um die Wählerstimmen auf Platz zwei hinter der CDU landet. Denn dann, so Lafontaine, müsse der sozialdemokratische Spitzenkandidat Heiko Maas - sein einstiger Zögling - erklären, warum er lieber als Juniorpartner mit der CDU regiert, anstatt als Ministerpräsident mit der LINKEN. Man hofft, dass die Vorabsprache von CDU und SPD, auf jeden Fall eine große Koalition zu bilden, den Sozialdemokraten auf die Füße fällt.

Denn dass es rechnerisch für ein rot-rotes Bündnis reichen würde, scheint klar. Nach der jüngsten Emnid-Umfrage liegen die SPD bei 36 Prozent, die CDU bei 34, die LINKE bei 17, die Piraten bei 5 und die Grünen bei 4. Dass die FDP noch einmal in den Landtag einzieht, ist beim prognostizierten einen Prozent unwahrscheinlich. Seinen Optimismus schöpft Lafontaine aus der Landtagswahl 2009. Damals sagten die Umfragen der LINKEN zuletzt 15 Prozent voraus, gelandet ist sie dann bei 21,3 Prozent - Zahlen, von denen andere westdeutsche Landesverbände nur träumen können.

Ein ähnlich gutes Ergebnis für die LINKE an der Saar könnte noch ganz andere Folgen haben. Würde Lafontaine in seiner Heimat gestärkt, so wird gemunkelt, könnte er doch noch einmal als Bundesvorsitzender für seine Partei antreten. Lafontaine will dazu nichts sagen. Jetzt geht es um die Saar. Lafontaine ist viel unterwegs: Da steht ein Betriebsräteempfang mit Klaus Ernst auf dem Programm, Betriebe werden ebenso besucht wie der Keramikmarkt in Homburg. Am Ende des Wahlkampfes sind Auftritte mit Freundin und Vize-Parteivorsitzender Sarah Wagenknecht sowie mit dem Chef der Bundestagsfraktion Gregor Gysi angekündigt. Mehr Bundes-Promis sollen es auch nicht sein. Am Rande des Burbacher Auftritts wird erzählt, dass man gerade versuche, einen bestimmten Besuch aus Berlin im Saarland zu verhindern. Will die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch kommen? Der Angesprochene schaut demonstrativ in die Ferne.

Man braucht sie an der Saar nicht, die Unterstützung aus Berlin. »Die Leute hier wählen nicht die LINKE, die wählen Oskar«, sagt Josef Laugel, stellvertretender Ortsvereinsvorsitzender von Gersweiler-Klarenthal, einem Saarbrücker Bezirk. Der Elektroanlagenbauer hilft im Wahlkampf. Laugel ist ein gelassener Typ, Politik ist nicht sein Lebensinhalt. Während sich einige Genossen darüber aufregen, dass im Stadtrat Friedrichsthal nun auch die letzten drei Linken aus ihrer Partei austreten wollen, zieht er an seiner Zigarette. Was ist los in Friedrichsthal? Laugel zuckt mit den Schultern und meint: »Es gibt in der Politik auf allen Ebenen Leute, die dabei sind, weil sie was werden wollen, und es gibt Leute, die sich aus Überzeugung engagieren.« Er befürchtet, dass nur wenige zur Wahl gehen werden. Laugel: »Ich habe den Eindruck, insgesamt herrscht eher Desinteresse.«

Kärrnerarbeit - der liebt das sogar

Aber nicht, wenn Oskar da ist. Er sucht noch einmal die Nähe seiner Anhänger. Eine ältere Dame zupft an seinem langen, dunklen Mantel. Lafontaine beugt sich zu der kleinen Frau hinunter. Sie wollte in die LINKE eintreten, aber man habe ihr gesagt, das ginge nicht, weil sie lange in Frankreich gelebt hat und französische Staatsbürgerin sei. »Das ist Quatsch«, meint Lafontaine und ruft seine Assistentin. »Regel das mal.« Die nimmt die Dame sofort unter ihre Fittiche. »Kommen Sie.« Ein Aufnahmeschein wird gefunden, die alte Dame freut sich.

Einst war Lafontaine hier ein kleiner König. Er jagte die CDU aus der Regierung, wurde Saarbrückens Oberbürgermeister, dann Ministerpräsident. Für die Konsolidierung des Haushalts setzte er damals auch unpopuläre Maßnahmen durch, zum Beispiel die Streichung von Stellen im Öffentlichen Dienst. Davon will er als Spitzenkandidat nun nicht reden. Die Kärrnerarbeit des Wahlkampfs scheint ihm nicht schwer zu fallen. »Der liebt das sogar«, sagt Heinz Bierbaum, Bundesvizevorsitzender der LINKEN und Landtagsabgeordneter im Saarland, der Lafontaine nach Burbach begleitet hat. Bierbaum hat eine kurze Erklärung für Lafontaines Popularität: »Er ist Saarländer.«

Dieser Saarländer ist nun auf dem Weg runter vom Marktplatz, hin zu ein paar Geschäften. Mehrere Zuhörer klopfen Lafontaine ermunternd auf die Schulter. Ein Mann hebt ihm seine Bierflasche entgegen. »Oskar, mach's gut. Halt Dich munter und gesund«, ruft er. Lafontaine lächelt, nickt und lenkt seine Schritte in die nächste Bäckerei. Händeschütteln.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.