Moskauer stimmen über »Rossija«-Zukunft ab

Areal des ehemaligen Hotels soll neu gestaltet werden

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

116 Entwürfe für die Neugestaltung des Areals, auf dem einst Europas größtes Hotel stand - das »Rossija« - schafften es in die Endrunde und sind jetzt in einer Ausstellung des Moskauer Zentrums für Bau und Architektur zu besichtigen. Um Jury und Besuchern eine unparteiische Bewertung zu ermöglichen, sind die Arbeiten statt mit Namen mit Nummern versehen. Denn abstimmen dürfen auch einfache Moskauer. Dazu stehen am Ausgang Urnen wie in Wahllokalen. Die Jury hat versprochen, die Meinung der Öffentlichkeit zu berücksichtigen.

Wladimir Putin selbst hatte den Wettbewerb kürzlich ausgelobt, dabei jedoch zur Bedingung gemacht, dass auf dem 240 000 Quadratmeter großen Gebiet ein Park entsteht.

Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß. Eine Nacht im »Rossija« war für viele Sowjetbürger Synonym für Luxus und das mit rotem Granit verkleidete Hotel selbst eine Vorwegnahme der lichten Zukunft, die Partei und Staatsführung den Massen immer wieder versprachen.

Die damaligen Stadtplaner hatten dazu ein ganzes Viertel platt gemacht: Die alte Kitai-Vorstadt, von der aus im Mittelalter Handelskarawanen nach Ostasien und in den Orient aufbrachen. 1967 wurde das »Rossija« eröffnet: 3170 Zimmer auf 21 Stockwerken. Traurige Berühmtheit erlangte das Hotel durch den Brand, der im Februar 1977 aus ungeklärten Gründen gleichzeitig im 5. und im 11. Stockwerk ausbrach und den gesamten Komplex in Windeseile erfasste. 42 Menschen kamen ums Leben. Wieder restauriert, wurde das »Rossija« 2005 geschlossen und zum Abriss freigegeben.

An der Ausschreibung für die Neugestaltung ein Jahr zuvor beteiligte sich auch ein österreichisches Unternehmen. Der Gewinner war jedoch ein anderer: der skandalumtoste Geschäftsmann Schalwa Tschigirinski, der mit dem britischen Stararchitekten Norman Foster das »Rossija« für 800 Millionen Dollar als Fünfsternehotel wieder aufbauen und mit Einkaufspassagen sowie luxuriösen Firmensitzen ergänzen wollte. Tschigirinski hatte einen heißen Draht zu der Baulöwin Jelena Baturina, der Ehefrau von Moskaus damaligem Oberbürgermeister Juri Luschkow. Das Gericht erklärte die Ausschreibung jedoch für ungültig.

Nicht realisiert wurde auch das Vorhaben von Luschkows Amtsnachfolger Sergej Sobjanin, der auf dem »Rossija«-Gelände für zwei Milliarden Euro einen gigantischen Komplex für beide Kammern des russischen Parlaments - einschließlich Sitzungssaal mit 5000 Plätzen - plante. Dann brachte Putin die Parkidee ins Spiel und damit Moskaus Architekten in akute Verlegenheit. Denn die Zunft kann sich partout nicht vorstellen, das riesige Areal mitten im Stadtzentrum, wo die Quadratmeterpreise seit langem jenseits von Gut und Böse liegen, einfach nur für Rasen und Bäume zu »verschwenden«. Den auf der Ausstellung gezeigten Entwürfen merkt man das an.

Zu sehen sind vor allem Projekte, in deren Mittelpunkt Konzertsaal und Museum stehen. Sie sollen genau dort errichtet werden, wo einst das Hotel stand, einige wiederholen dessen Konturen. Andere sind eher futuristisch. Mit einem gigantischen Turm oder Gruppen von Hochhäusern mit grellfarbigem Anstrich in den Farben der Kuppeln der Basilius-Kathedrale schräg gegenüber vom Kreml. Auch ein Vergnügungspark mit Minikopien berühmter Gebäude aus aller Welt und ein Ensemble, das sich an der historischen Kitai-Vorstadt orientiert, sind zu sehen. Ein Teil der alten Gassen soll dabei durch Wasserläufe ersetzt werden.

Archnadsor, eine Organisation der Zivilgesellschaft, die sich als Wächter für den Erhalt des historischen Stadtzentrums versteht und schon den Widerstand gegen die erste Ausschreibung organisierte, macht auch gegen den neuen Wettbewerb mobil. An der Ausschreibung, so ein Sprecher, hätten sich auch Architekten beteiligt, die die Ziele seiner Organisation teilen, deren Entwürfe hätten es jedoch nicht auf die Short-list geschafft.

Sie sahen vor, Reste historischer Bauten, die unter den Fundamenten des Hotels konserviert wurden, freizulegen und in den neuen Park zu integrieren. Der Park, fordert Archnadsor, müsse sofort angelegt werden. Um zu verhindern, dass anstelle des Hotels eine neue Steinwüste entsteht.

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