Wenn das Matterhorn dem Kandidaten lächelt
Wer ist wer im Spitzenduell - Jost de Jager und Torsten Albig wollen Ministerpräsident werden
Fleißig, sachlich, karriereorientiert, etwas bieder, kein Mann der lauten Töne – welcher der beiden Spitzenkandidaten, die sich um das Amt des Ministerpräsidenten bewerben, ist damit wohl gemeint? Jost de Jager (CDU) oder Torsten Albig (SPD)? Die Charakterisierung trifft auf beide zu.
Mann des ersten Eindrucks
Jost de Jager hat über den amtierenden Kieler Oberbürgermeister einmal etwas abfällig gesagt, er sei »ein Mann des ersten Eindrucks«. Albig fand das gar nicht witzig. Beim späteren Rededuell im Studio des Norddeutschen Rundfunks kriegt de Jager noch die Kurve. »Er ist ein Kommunikator, ein großer Wahlkämpfer«, urteilt der Christdemokrat in Anspielung auf Albigs Erdrutschsieg bei der Wahl zum Kieler OB im März 2009. Im ersten Wahlgang katapultierte der heute 48-Jährige die CDU-Amtsinhaberin Angelika Vollquarz aus dem Amt. Ein ähnliches Kunststück gelang dem in Bremen geborenen Juristen Anfang 2011, als er sich in der SPD-Urwahl mit 57 zu 32 Prozent gegen den linken sozialdemokratischen Provokateur Ralf Stegner für das Spitzenkandidat qualifizierte.
Albig kommt mit seiner gewinnenden Art besonders im persönlichen Gespräch an. Außerdem herrscht Wechselstimmung im seit 2009 christlich-liberal regierten Bundesland. Und genau das sind die beiden großen Probleme des eher spröde wirkenden Jost de Jager, der den jovialen Ministerpräsidenten, den dauerlächelnden Peter-Harry Carstensen, beerben soll. Die Wähler begegnen dem amtierenden Wirtschaftsminister mit Skepsis. In aktuellen Umfragen liegt Konkurrent Torsten Albig deutlich vorne. Wenn der Ministerpräsident direkt gewählt werden könnte, käme Albig auf 56, de Jager auf 32 Prozent der Stimmen. Auch bei den Sympathiewerten liegt der Sozialdemokrat mit 49 zu 21 deutlich vorne. Nicht anders sieht es in Sachen Glaubwürdigkeit (41:20) und bei den Führungsqualitäten (37:24) aus.
Hat vielleicht Albig eine Erklärung für den Rückstand seines Kontrahenten? »Er ist immer verlässlich, sehr kompetent und im Ton – wie ich – sehr zurückhaltend. Er weiß, dass Menschen es nicht schätzen, wenn man aufeinander einschlägt. Er ist in der Lage, mit Argumenten zu ringen. Das schätze ich sehr.« Das klingt so: Netter Kerl, der Pastorensohn aus Rendsburg, aber letztlich fehlt ihm der richtige Biss. Die Strategen in der CDU haben das erkannt und setzen in der heißen Phase des Wahlkampfs verstärkt auf den Slogan »klare Kante«, die de Jager auf den letzten Metern zeigen soll.
An einem kühlen April-Abend im Schuler Fährhaus in Wedel gibt sich de Jager denn auch große Mühe, kämpferisch zu wirken. Empfangen wird der 47-jährige Familienvater (eine Tochter) von einer adrett gekleideten Abordnung der örtlichen Jungen Union. Die verteilt ökologisch bedenkliche Mini-Leuchtstoffröhren, Aufschrift: »Grün? Kannste knicken«, an die rund 150 Zuhörer im Saal. Auf dem Podium kommt der geübte Redner ohne Umweg auf seine drei großen Wahlkampf-Themen zu sprechen: Schulden, Schulen, Investitionen in die Zukunft. »Wohlstand auf Pump gibt es nicht«, betont de Jager, »Länder mit den höchsten Schulden sind die Länder mit der höchsten Arbeitslosigkeit.« Damit spielt er auf Griechenland und Spanien an und warnt im gleichen Atemzug vor ähnlichen Verhältnissen in Schleswig-Holstein – wenn die Sozis an die Macht kommen: »Der Unterschied zwischen Herrn Albig und mir sind 1,8 Millionen Schulden mehr.« Diesen Satz wird er in den Tagen bis zur Wahl am 6. Mai noch oft wiederholen, wenn er der SPD mit ihrer Haushaltspolitik vorwirft, »ungedeckte Schecks« zu verteilen.
Nahe am flachen Land
Auch Torsten Albig tourt fleißig durch das rapsgelb leuchtende »Land zwischen den Meeren« – durch »mein Lieblingsland«, wie der gebürtige Bremer den Wählern nicht nur auf der gleichnamigen Internetseite weismachen will. Nahe am Land, nahe an der Bevölkerung – so präsentiert er sich in seiner Kampagne. Vormittags ist er durchs Watt gewandert und hat dabei über die Lage an der Lübecker Universität diskutiert. Bei der nachmittäglichen Führung durch das dem nordfriesischen Maler Emil Nolde gewidmete Museum in Neukirchen-Seebüll fällt die Bürgernähe allerdings aus. Kurz vor der dänischen Grenze haben sich Pressevertreter, Fotografen, lokale SPD-Politiker und Sicherheitsleute versammelt. Normale Wähler sind, entgegen der Ankündigung, nicht dabei. »Da ist etwas schief gelaufen«; sagt der Wahlkampfleiter. Der Museumsleiter spricht über Noldes erstes Ölbild, 1895 in der Schweiz fertiggestellt, große, grotesk geratene Gesichter; der Künstler habe sich sehr gequält damit, zwei Jahre lang. »Ich glaube, das auf dem Bild waren seine Nachbarn«, scherzt Albig. Im Raum mit einer Sammlung von Bergpostkartenbildern, die dem jungen Nolde erste Aufmerksamkeit (und gute Einnahmen) einbrachten, verweilt Albig länger. Gesichter schimmern durch die Massive. »Das Matterhorn lächelt – sehr schön«, sagt Albig. Der Leiter spricht viel von »grotesken Fantasien« – eine Parallele zu den übersteigerten Erwartungen an den Spitzenkandidaten verkneifen sich die Anwesenden.
Die Dänen kommen
Mancher Sozialdemokrat hoffte nach seiner Inthronisation an der Kieler Förde, Albig werde gegen den CDU-Kandidaten Jost de Jager den Erdrutschsieg schaffen. Doch der Schwung ist abgeebbt. Nach ihrem Wahldebakel 2009 (25,4 Prozent) hat die SPD zwar gute Chancen, die 30-Prozent-Marke zu überspringen, von einem rauschenden Sieg geht aber kaum noch jemand aus. Aktuell hat die SPD die Nase hauchdünn mit 32:31 Prozent vorne. Selbst die lange als wahrscheinlich gehandelte Wunschkoalition aus SPD und Grünen hat in Umfragen ihre Mehrheit verloren. Ohne den SSW, die von der Fünf-Prozent-Klausel befreite Partei der dänischen Minderheit, kommt wohl keine Regierungsmehrheit zustande.
Das weiß auch der studierte Historiker und Anglist de Jager und haut ungewohnt wuchtig in diese Kerbe, indem er massiv vor der »Dänen-Ampel« warnt: »Die darf nicht sein!« Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) sei eine »im Kern linke Partei«, warnt er, die für »mehr Schulden, mehr Schulideologie und die Auflösung kleiner Gemeinden« stehe. Die Subventionen für die Schulen der dänischen Minderheit hat die CDU schon radikal gekürzt – jetzt klingt es bisweilen so, als wollte de Jager an der Befreiung der Partei von der Fünf-Prozent-Klausel kratzen. Die Stimmungsmache funktioniert. Ein bärtiger Mann mittleren Alters meldet sich in der abschließenden Fragerunde zu Wort und sagt tatsächlich: »Ich will nicht von Dänen regiert werden.«
Derweil bleibt Albig bei seinem Kuschelkurs. In Anlehnung an den erfolgreichen, aber weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf des jetzigen Hamburger Ministerpräsidenten Olaf Scholz setzt Albig konsequent auf das »Wir-Gefühl«. Ein von den Kieler Nachrichten befragter Werbeexperte beschreibt die Kampagne als »aalglatt«, konstatiert aber: »Ich fühle mich davon angesprochen.« Als aalglatt bezeichnet manch einer auch Albig, der von 2006 bis 2009 Sprecher des SPD-Bundesfinanzministers Peer Steinbrück war. Wie Steinbrück wird Albig zum rechten Flügel der Partei gezählt, ganz im Gegensatz zum »roten Rambo«, SPD-Landeschef Ralf Stegner, der bei der Landtagswahl 2009 unterging. Albig war schon Vieles: Chef der Landesfinanzschule in Malente, Referent für Finanzen und Steuern in der Landesvertretung in Bonn, Mitglied im SPD-Planungsstab, Pressesprecher des Bundesfinanzministeriums unter Oskar Lafontaine, Hans Eichel und Peer Steinbrück, Sprecher der Dresdner Bank und Kämmerer in Kiel. Jetzt setzt er zum großen Sprung an.
Grüne bleiben ungeknickt
Doch da ist der ausgebildete Journalist Jost de Jager vor – eher ein Macher als Ideologe. Wie bunt die Farbenlehre des Christdemokraten ist, zeigt ein überraschender Schwenk. Weil die Fortsetzung der Koalition mit der FDP in Anbetracht der Umfragen illusorisch ist, erklärt er nun, Schwarz-Grün sei eine Option. Begründung: »Beim Thema Energiewende stehen wir den Grünen näher als die SPD.« Von wegen, Grün kannste knicken! Nur die unschöne Sache mit dem von Umweltschützern hart bekämpften, aber von der CDU vehement befürworteten Kohlekraftwerk in Brunsbüttel muss er seinen neuen Lieblingen noch erklären.
Weil die Grünen auf das »Jamaika«-Angebot der CDU etwas irritiert regieren und die Dänen-Ampel womöglich zu wenig Strom bekommt, ist etwas, das niemand in Schleswig-Holstein wirklich möchte, doch eine realistische Option: Die Große Koalition der beiden fleißigen Sachorientierten. Gegenseitige Verletzungen aus dem Wahlkampf jedenfalls wären kaum zu heilen.
Fakten zur Wahl
Wahlberechtigt sind 2 243 000 Schleswig-HolsteinerEs gibt 76 000 Erstwähler
Gewählt wird in 35 Wahlkreisen und 2700 Wahlbezirken
Zur Wahl stehen elf Parteien. Neben den sechs im Landtag vertretenen die Piratenpartei, die Familienpartei, die Freien Wähler, die NPD und die Maritime Union Deutschland
Weil nicht eingebürgert und ohne deutsche Staatsangehörigkeit, sind rund 18 500 Einwohner offiziell von der Wahl ausgeschlossen. Deswegen haben Migranten bei einer symbolischen Kampagne in Kiel »Jede Stimme zählt« ihre Stimme abgegeben. Ergebnisse nach dem 6. Mai auf der Homepage www.jedestimme2012.de
(ha)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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