EU-Brüssel im Baurausch
Im Europaviertel entstehen neue Prestigegebäude / Geld spielt keine Rolle / Anwohner protestieren
Brüssel baut für die Zukunft, und das in einer Weise, als hätte man in den EU-Einrichtungen das Wort Krise oder die Befürchtungen um das Ende Europas noch nie gehört. Sowohl EU-Kommission als auch Rat und Parlament lassen sich im Brüsseler Europaviertel neue, große und teure Gebäude errichten: Ein knapp 450 Millionen Euro teurer Glaspalast für EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und seine Mitarbeiter, ein 70 Meter hohes Bürogebäude für die EU-Kommission, »Leuchtturm« genannt, und als neuestes Streitobjekt ein gläsernes »Haus der Europäischen Geschichte« für das Europäische Parlament.
Die Baustellen liegen nur wenige Hundert Meter Luftlinie voneinander entfernt. Da gerade auch der unterirdische Bahnhof zwischen EU-Kommission und EU-Ratsgebäude, der gleichzeitig eine Metrostation ist, in einer wichtigen Phase seiner jahrelangen Modernisierung steckt, herrscht Chaos im Europaviertel. Die EU als Baustelle könnte dort nicht besser symbolisiert sein. Allerdings wird hier nicht gebaut, weil es unbedingt notwendig ist, sondern vor allem aus Prestigegründen.
Den Brüsselern selbst - Stadtverwaltung und Einwohnern - geht diese Bautätigkeit teilweise zu weit. So sehr man sich in der belgischen Hauptstadt über die Anwesenheit der EU-Einrichtungen und die damit verbundenen finanziellen Einnahmen für Stadt und Wirtschaft freut, so sehr stößt die Bauwut auch auf Verärgerung. Die »Vertreibung« vieler Bewohner aus dem heutigen Europaviertel, weil die Gebäude für Büros genutzt werden und Mieten und Immobilienpreise in unerschwingliche Höhen schnellten, ist nur der Hintergrund für die gegenwärtigen Konflikte. Wie dem um das »Haus der Europäischen Geschichte«. Es soll vom renommierten Pariser Architektenbüro Chaix & Morell für 56 Millionen Euro im »Innenhof« eines U-förmigen Gebäudes im Art-déco-Stil gebaut werden. Dieses 1935 eingeweihte, sogenannte Eastman-Gebäude steht im kleinen, aber als kulturelles Erbe ausgezeichneten Léopold-Park, dem letzten Grün, das zwischen den Gebäuden der großen EU-Einrichtungen noch übrig geblieben ist. Der Neubau soll gläsern und mit 31 Metern um einiges höher sein als das Eastman-Gebäude. Vor allem dagegen richtet sich der Protest von Anwohnerverbänden und Gruppen, die sich um das Erscheinungsbild des Europaviertels kümmern. Worte wie »EU-Größenwahn«, »EU-Eitelkeiten« und »Störfaktor« fallen, wenn die Vereine die Pläne des Europäischen Parlaments kommentieren.
An diesem prallt die Kritik jedoch ab. Die Planer verweisen auf das Gebäudeprojekt der EU-Kommission, auf den 70 Meter hohen »Leuchtturm«, der nur wenige Meter entfernt vom Haus der Geschichte entstehen soll. Wenn man sich über zu hohe Gebäude im Umfeld des historischen Léopold-Parks aufregen wolle, so bitte doch darüber.
Was übrigens schon geschehen ist. Ein Einspruch gegen den »Leuchtturm« liegt beim belgischen Gericht vor. Ob diese Klage und die Bürgerproteste Aussicht auf Erfolg haben werden, ist bei den Machtverhältnissen und Interessenüberschneidungen zwischen Brüssel und den EU-Einrichtungen allerdings zu bezweifeln.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.