Behandelt, nicht geheilt
Auf der 19. Welt-Aids-Konferenz werden nicht nur medizinische Erfolge eine Rolle spielen
Das sechstägige Programm für die fast 25 000 Konferenzteilnehmer in Washington ist voll mit Seminaren, Vorträgen und Diskussionsrunden. Wie können die neuesten medizinischen Entwicklungen im Gesundheitssystem vor Ort angewandt werden? Was müssen infizierte Mütter über das Stillen wissen - immerhin sind 90 Prozent der Aidserkrankungen bei Kindern unter 15 Jahren auf die Mutter-Kind-Übertragung zurückzuführen. Die Themen sind so komplex wie die Ausgangslage: Weltweit sind mindestens 34 Millionen Menschen mit dem Aids-auslösenden HI-Virus infiziert, davon leben allein 25 Millionen in Afrika. 1,5 Millionen Menschen sind im vergangenen Jahr an der Immunschwächekrankheit gestorben.
Aids ist heute zwar eine beherrschbare chronische Krankheit, denn besonders auf den Gebieten der Impfung und Prävention sind in jüngster Zeit große Fortschritte erzielt worden. Moderne HIV-Medikamente können die Anzahl der Viren im Körper so weit senken, dass die Gefahr einer Ansteckung deutlich sinkt. Aber die Medikamente sind teuer, so wie das erst kürzlich in den USA zugelassene Truvada, das in Deutschland noch nicht auf dem Markt ist. Eine Monatsration kostet derzeit in den USA 1200 Dollar.
Den Forschern bereitet außerdem die zunehmende Resistenz gegen HIV-Medikamente Kopfschmerzen. Das Phänomen betrifft mehrere Regionen Afrikas, wie die Fachzeitschrift »The Lancet« schreibt. Aus einer dort veröffentlichten Untersuchung geht hervor, dass sich im Osten Afrikas binnen acht Jahren Viren ausbreiteten, die gegen bestimmte Arzneimittel resistent waren und sich von rund einem auf 7,3 Prozent der unbehandelten Infizierten übertrugen. Die festgestellten Resistenzen betreffen laut der Studie HIV-1-Stämme, gegen die eine bestimmte Medikamentenklasse nicht mehr wirkt. HIV-1 ist eine der zwei Arten von Aidserregern, die beim Menschen vorkommen. Die Erkrankung ließe sich zwar mit anderen Arzneimitteln behandeln, die aber in der Regel wesentlich teurer sind. Außerdem können die Medikamente starke Nebenwirkungen haben, bei denen etwa Osteoporose, Nierenprobleme oder Herzinfarkt auftreten können.
Zunehmend verlagert sich die Aufmerksamkeit bei der Aidsbekämpfung von Afrika nach Zentralasien, Osteuropa und den Mittleren Osten. In Russland sind die Neuinfektionen in einigen Gebieten innerhalb der letzten vier Jahre um 700 Prozent angestiegen. In Turkmenistan wurden noch vor ein paar Jahren lediglich zwei Fälle von Aids registriert, obwohl das Land längst viel stärker von der Immunschwächekrankheit betroffen war. Als Reaktion hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in der vergangenen Woche den ehemaligen Direktor des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, Michel Kazatchkine, als HIV/Aids-Sondergesandten für Osteuropa und Zentralasien eingesetzt. Vor nicht allzu langer Zeit hatte die UNO noch ins Auge gefasst, bis 2010 allen Menschen Zugang zu HIV-Prävention, Therapien, Versorgung und Beratung zu ermöglichen. Das Aids-Programm der Vereinten Nationen (UNAIDS) hat mittlerweile das Jahr 2015 als neues Ziel für eine lückenlose Versorgung mit HIV-Therapien gesetzt.
Ebenso besorgniserregend ist, dass sich in vielen Industriestaaten der weltweite Trend umzukehren scheint. Während die Infektionsrate weltweit sinkt, steigt sie in den USA und Westeuropa wieder an. Das Sexualverhalten gerade jüngerer Menschen ist risikoreicher geworden. Das Thema Aids verschwand zunehmend aus dem Blick der Öffentlichkeit, seit die Zahl der Neuinfektionen nicht mehr so rapide stieg wie noch Ende der 80er Jahre.
Im Gegensatz zur Medizin hat sich in der Gesellschaft zum Thema Aids wenig getan. Laut Aids-Hilfe sind Diskriminierung oder die Unsicherheit etwa am Arbeitsplatz oft die viel größeren Probleme für HIV-Infizierte. In Berlin war erst im letzten Jahr einem 24-jährigen Chemielaboranten gekündigt worden, nachdem eine Untersuchung seine HIV-Infektion offenbarte.
Auch in den USA ist die Erkrankung nach wie vor ein heikles Thema. Vor 22 Jahren waren die Vereinigten Staaten zuletzt Gastgeber einer Welt-Aids-Konferenz. HIV-Infizierte aus anderen Ländern durften jahrzehntelang nicht einreisen. Erst nach Ende des Verbots 2010 entschieden sich die Organisatoren, wieder eine Aids-Konferenz in den USA stattfinden zu lassen. Dabei ist das Land von der Immunschwächekrankheit selbst stark betroffen. In manchen Stadtteilen von Washington D.C. sind mehr als sechs Prozent der afroamerikanischen Männer mit Aids infiziert, in Afrika südlich der Sahara sind es etwa fünf Prozent. Präsident Barack Obama zuvor seine Teilnahme an der Konferenz abgesagt und dafür scharfe Kritik von Aids-Aktivisten geerntet.
HIV in Deutschland
Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist gesunken. 2011 steckten sich 2250 Männer und 450 Frauen an. 2006 waren es noch rund 3400 Menschen. »Zu den wichtigsten Ursachen für diese positive Entwicklung gehören die intensivierte Prävention und die zunehmend frühere Diagnose und Behandlung HIV-Infizierter, die dann weniger infektiös für ihre Sexualpartner sind«, sagt Reinhard Burger, Präsident des Robert Koch-Instituts. Mit HIV oder Aids leben in Deutschland etwa 73 000 Menschen. Diese Zahl steigt seit Mitte der 1990er Jahre, da die Zahl der Neuinfektionen höher ist als die Zahl der Todesfälle. 14 000 Personen wissen Schätzungen zufolge nichts von ihrer Infektion.Die am stärksten von HIV betroffene Gruppe sind nach wie vor Männer, die Sex mit Männern haben. 45 000 der in Deutschland mit HIV oder Aids lebenden Personen gehören zu dieser Gruppe. Nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe ist das Schutzverhalten schwuler Männer stabil. 70 Prozent von ihnen schützten sich Umfragen zufolge immer mit Kondomen, 20 Prozent fast immer.Sachsen-Anhalt plant HIV-Tests gegen den Willen der Betroffenen. Die Deutsche Aids-Hilfe lehnt dies als unverhältnismäßig ab. Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome) ist eine Immunschwächekrankheit, die durch das HI-Virus ausgelöst wird. Sie wurde erstmals 1981 von einem Arzt diagnostiziert. Der Erreger wird durch ungeschützten Geschlechtsverkehr, verunreinigte Injektionsnadeln und verseuchte Blutkonservenübertragen. Häufig stecken HIV-positive Schwangere ihre ungeborenen Kinder an. nd/ottDas »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.