Putin in der Zwickmühle
»Pussy Riot«: Wie immer das Urteil gegen die Punkerinnen ausfällt, der russische Staat ist in der Kritik
Der russische Präsident schaut in London seinen Judokas zu und wird derweil zu Hause auf die Matte gezwungen. Geschickt, durchaus. Die Band »Pussy Riot« ist dabei zu erreichen, was sie mit ihrem Punk-»Gebet« in der Moskauer Erlöserkathedrale bezweckte. Mutwille zur Publicity: Dahinter stand ein grundsätzliches Aufbegehren gegen alles Diktatorische, lautstarkes Einfordern von künstlerischer Freiheit, wie sie im Westen normal ist. Doch öffentlichkeitswirksamer als dieser Auftritt war, was ihm folgte. Drei junge Frauen, liebreizend noch dazu, hinter dicken Gitterstäben - das Foto weckt Mitgefühl und Empörung. Zwei von ihnen sind Mütter kleiner Kinder, monatelang schon getrennt von ihnen durch erbarmungslose Untersuchungshaft. Und nun im Glaskasten vor Gericht: Das »vulgäre, herausfordernde und zynische Verhalten« der Punkgruppe sei »sündig« - die Worte des Staatsanwalts gingen um die Welt.
Ob und wie die Justiz auf provokative Auftritte in religiösem Umfeld reagiert, dürfte zwischen Deutschland, den USA und Saudi-Arabien ziemlich unterschiedlich sein. Was in Russland als Störung der öffentlichen Ordnung und antireligiöse Hetze gilt - wäre es hierzulande nur Hausfriedensbruch, zu ahnden mit einer Ordnungsstrafe, oder doch ein ernsterer Straftatbestand? Um solche Details geht es in der Mediendebatte nicht, sondern um die Frage, ob der russische Staat mit Putin an der Spitze eine Demokratie zu nennen ist oder nicht. Aus westlicher Sicht steht die Antwort eigentlich schon fest.
Politische Aktionskunst - aber die Anklage lautet auf groben Unfug zwecks Anstiftung zu religiösem Hass. Das Gericht hätte die gesetzliche Handhabe zu einer Haftstrafe von bis zu sieben Jahren. Der Staatsanwalt hat drei Jahre gefordert. Das Urteil soll, ist inzwischen zu erfahren, nicht diese Woche, sondern erst am 17. August verkündet werden. Wie immer es ausfallen wird, es trifft nicht nur die drei Musikerinnen, sondern den Staat. Jemand wie Putin dürfte das wissen. Eine harte Hand gegen die drei »Pussys« schlüge ihm selbst ins Gesicht.
So hat er vor Tagen von London aus zu beschwichtigen versucht. Er sei gegen eine harte Strafe, die Untersuchungshaft sei den Frauen ohnehin eine Lektion gewesen. Es half ihm nichts, der Weltöffentlichkeit galt es als Zarengeste, als Beweis, dass Russland eben eine Diktatur sei. Auch sei das Bezirksgericht Chamowniki nach dem Chodorkowski-Prozess ohnehin als obrigkeitshörig bekannt. Ist es in diesem Falle wohl auch, aber letztlich wohl doch nicht in Putins Interesse.
Der Präsident ist in eine Zwickmühle gebracht. Übt er Druck auf das Gericht aus, damit es zu einer Bewährungsstrafe kommt - die Frage ist, ob er es überhaupt kann -, vergeht er sich gegen die Freiheit der Justiz. Lässt er an sich vorbeigehen, was der Öffentlichkeit als inquisitorischer Vorgang gilt, wird ihm persönlich zur Last gelegt, wie Staatsanwalt und Richterin sich verhalten. Und außerdem gibt es ja noch eine Macht im Hintergrund: die orthodoxe Kirche, deren Patriarch von den Punkerinnen als »Hund« beschimpft wurde. Erst wurde von dort scharfe Bestrafung gefordert (man hätte auch den Mantel der Nächstenliebe darüber decken können) und jetzt wird zurückgerudert, die Staatsgewalt ist mit dem Vorwurf allzu großer Härte allein.
Dass es vielerlei Interessen gibt, Putin wegzudrängen - in Russland und anderswo, dass »Pussy Riot« in solcherlei Machtspielen auch ausgenutzt werden, steht außer Frage. Abgesehen von ihnen: Sich »demokratisch« zu nennen, gar »revolutionär« ist vielerorts üblich in der Welt, während es im Hintergrund um geostrategische Ziele und die Neubesetzung von politischen und ökonomischen Einflusssphären geht. Wo Reichtümer zu verteilen sind, gibt es entsprechendes Gerangel.
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