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Achtung, sehr großes Suchtpotenzial!

ICH HAB'S EINFACH MAL PROBIERT: Mit dem Segway auf Tour durch Berlin

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 4 Min.
Achtung, sehr großes Suchtpotenzial!

Skeptisch umkreise ich erst einmal das Teil, das sich Segway nennt, was soviel bedeutet wie »schwebeähnlicher Zustand«, und aussieht, wie eine Fußbank mit zwei riesigen Rädern und einer Stange mit Griff. Daran eine Klingel, sonst nichts. Doch womit gibt man »Gas«, wo ist die Bremse? Und, frage ich mich im Stillen, wie, um Himmelswillen, soll ich auf dem wackeligen Gerät die Balance halten? Als ob Joe, der gleich mit uns durch Berlin rollen will, Gedanken lesen kann, sagt er: »Ums Gleichgewicht müsst Ihr Euch nicht kümmern, das übernimmt der Segway. Einfach aufsteigen, gerade stehen und losrollen. Vertraut einfach der Technik.« Um zu beweisen, dass die sich ganz und gar den Körperbewegungen anpasst, steigt er auf und drückt die Lenkstange ein wenig vom Körper weg. Schon rollt das Teil vorwärts, er zieht sie an sich heran und rollt rückwärts. Zum Lenken verlagert Joe sein Gewicht nach links oder rechts, die Räder reagieren sofort. Dann schiebt er seinen Hintern leicht raus, sofort steht das Gerät.

»Ist doch total simpel, dreht mal eine Proberunde, bevor wir uns ins Getümmel stürzen«, macht Joe Mut. Vorsichtig steige ich auf und schiebe dabei ganz langsam die Lenkstange ein paar Zentimeter nach vorn. Schon rollt das Teil los. Noch ein bisschen mehr Druck, und es nimmt Fahrt auf. Toll! Nun das Gewicht mal kurz nach links, dann wieder nach rechts verlagern - mein erster Slalom gelingt auf Anhieb. Mutiger geworden, halte ich langsam auf eine gedachte Wand zu, einen Meter vorm fiktiven Aufprall stelle ich den Lenker gerade und schiebe den Allerwertesten raus. Der Segway steht. Schnell noch ein paar Proberunden, dann düsen wir los in Richtung Lustgarten.

Steigen wir anfangs an roten Ampeln noch ab, so ist das schon bald nicht mehr nötig, und wir genießen die ungläubigen Blicke der Leute, die sich nicht vorstellen können, wieso die Dinger nicht einfach weiterrollen.

Joe leitet uns sicher durch den dichten Nachmittagsverkehr, gefahren wird zumeist auf der Straße. Was für ein tolles Gefühl, wenn man mit der rasenden Fußbank auf der Busspur locker an den sich stauenden Autos vorbeifahren kann. Wo immer es möglich ist, lehne ich mich ganz weit nach vorn und lasse Fußgänger, Autos und Radfahrer hinter mir. Bei 20 km/h ist allerdings Schluss, mehr machen die Dinger nicht. Was aber absolut ausreichend ist, schließlich bin ich ja auf einer Genussreise und nicht auf der Flucht. Wir rollen an der Humboldtuni vorbei, veranstalten auf dem Bebelplatz ein kleines Wettrennen, machen kurze Abstecher zum Checkpoint Charlie und zum Brandenburger Tor. Wann immer wir stehenbleiben, damit Joe was erklären kann, sprechen uns Berliner und Touristen auf die flotten Gefährte an.

Längst fühle ich mich sicher auf meiner »Gehhilfe«. Und dann passiert's! Plaudernd rolle ich mit einem netten jungen Mann nebeneinander her und mache ihn auf eine Sehenswürdigkeit aufmerksam. Dummerweise beuge ich mich dabei ein wenig zu weit zu ihm rüber und touchiere sein Fahrzeug. Ehe ich begreife, was passiert, vermesse ich auch schon die Straße. Dank des Helms, der zwar nicht vorgeschrieben ist, aber unbedingt aufgesetzt werden sollte, geht der Crash zum Glück relativ glimpflich aus. Nur ein paar schmerzhafte blaue Flecke erinnern mich noch zwei Wochen später an meinen ziemlich plumpen Annäherungsversuch. Die Lust auf eine neue Tour indes kann der Sturz nicht nehmen. Ganz im Gegenteil, der Roller besitzt ein großes Suchtpotenzial, ich kann einfach nicht genug davon bekommen.

Erstmals wurde der Segway vor elf Jahren in der Fernsehsendung »Good Morning America« gezeigt. Erfunden hat ihn der US-Amerikaner Dean Kamen als »Alltagsfahrzeug für Jedermann«, von dem er sich erhoffte, dass er verstopfte Städte vom Autoverkehr entlasten würde. Steve Jobs, der vor knapp einem Jahr verstorbene Apple-Chef, prophezeite gar euphorisch, dem kleinen flotten Elektroflitzer werde die Zukunft des Verkehrs in den Städten gehören. Da allerdings irrte er. Der erhoffte Boom als schnelles privates Fortbewegungsmittel in städtischen Ballungszentren blieb bislang aus. In den USA und anderen Ländern genauso wie in Deutschland. Der Hauptgrund dafür dürfte im relativ hohen Preis liegen. Je nach Typ kostet es hierzulande zwischen 5000 und 8000 Euro. Nach etwa zwei Jahren ist zudem ein neuer Akku fällig, für den man nochmals mindestens 1000 Euro hinlegen muss. Um es fahren zu dürfen, braucht man mindestens einen Mofa-Berechtigungsschein.

Wenn auch nicht im Alltagsverkehr, so erfreut sich der Segway in Deutschland, seit er 2006 erstmals in Hamburg für Stadtrundfahrten zugelassen wurde, wenigstens im touristischen Bereich stetig wachsender Beliebtheit. Insbesondere in Großstädten, aber auch in ländlichen Gebieten kann man den Fahrspaß für ein paar Euro die Stunde haben.

Infos zu Touren in Berlin unter www.citysegwaytours.com/berlin. DERTOUR bietet Segwaytrips durch die Hauptstadt in ihrem Winterkatalog »Städtereisen« an.

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