Wässrige Argumente

Rund um den Concordia-See in Sachsen Anhalt kämpfen Bauern mit nassen Böden und der Politik

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit über einem Jahrzehnt können sachsen-anhaltische Landwirte im Vorharz große Teile ihrer Felder nicht mehr nutzen, weil sie vom Grundwasser vernässt werden.

Herbert Lisso schöpft wieder Hoffnung. Seit 13 Jahren kämpft die von ihm geleitete Neu-Seeland Agrar GmbH in Reinstedt im Harz gegen Misslichkeiten und wirtschaftliche Verluste, die er und 80 seiner Landpächter längst als »pure Enteignung« empfinden. Sogar eine Art Bürgerinitiative gründeten die Landbesitzer mittlerweile, weil sie ein ums andere Mal von Gerichten, Amtsschimmeln und Politikergremien im Regen stehen gelassen wurden.

Der Grund für den Ärger ist der Rückbau der Braunkohleförderung im Vorharz, in dessen Folge das zuvor aufwendig abgepumpte Grundwasser nun massiv zurückströmt und dabei immer mehr Ackerland vernässt. Alles in allem 1800 Hektar wären so mit der Zeit der Agrarnutzung entzogen worden, wenn man den Concordia-See mitrechne, erzählt Lisso.

In eben diesem Tagebaurestloch sieht er den Hauptgrund, weshalb die Magdeburger Landespolitik für die Anliegen der Landwirte bislang taub und blind blieb. CDU und SPD hätten sich einst mit einem planerisch unausgereiften touristisch-ökologischen Renommierprojekt schmücken wollen, rügt Lisso. Und da beide Parteien bis heute im Sattel säßen, täten sie auch nichts, um sich selbst korrigieren zu müssen, ist er sicher.

Geplantes Ungemach?

Doch der Concordia-See droht seit dem Erdrutsch in Nachterstedt im Juli 2009, als mehrere Menschen den Tod fanden, zum Fiasko zu werden. Das Projekt stockt für noch unbekannte Zeit. Die Stadt Seeland verkaufte sogar das Seeterrain für knapp 800 000 Euro an den Bergbausanierer LMBV zurück. Denn noch immer weiß keiner in Nachterstedt, weshalb die Böschung abrutschte. Die Gutachter tappen weitgehend im Dunkeln. Klar scheint nur, auch 2012 kann nicht wieder gebadet werden.

So kurios es klingt - eben daraus schöpfen Landwirte und Landeigner nun wieder Hoffnung. Nicht dass sie den Leuten die Naherholung und den Vögeln ihre Biotope nicht gönnen. Doch bis es am Ende vielleicht doch noch so weit sein könnte, sind nun aufwendige Baumaßnahmen nötig.

Schon seit Ende 2010 wird Wasser aus dem See gepumpt, um die Böschungen neu zu stabilisieren. Immerhin erhöhte sich auch im See seit dem Erdrutsch der Wasserspiegel um gut 1,5 Meter, vor allem durch weiter stark zufließendes Grundwasser. Und jenes Grundwasser ist es auch, dass allein den Landwirten aus Reinstedt ein sattes Fünftel ihrer Nutzfläche vernässt. Um die 200 Hektar seien bisher ganzjährig unnutzbar, weitere rund 100 Hektar nur im Sommer zu bearbeiten, so Lisso.

Angeblich soll das immer so geplant gewesen sein. Und sie soll sogar öffentlich ausgelegen haben, jene »Agrarstrukturelle Entwicklungsplanung Seeländereien«, die Regionalpolitiker um die Jahrtausendwende recht nassforsch ausbaldowerten. Tourismus statt Broterwerb und Brotgetreide, ließe sie sich auf einen knappen Nenner verdichten. Und in jenem Papier soll damals schon alles Ungemach für die Landwirte deutlich aufgelistet worden sein. Nur kann sich keiner daran erinnern, es je gesehen zu haben, nicht Herbert Lisso und nicht einer der insgesamt 180 betroffenen Landbesitzer. So klagten die Bauern dagegen vorm Verwaltungsgericht. Doch die Richter nahmen die Klage nicht einmal an. »Sie glaubten einfach den Behörden, dass diese keinen Fehler gemacht hätten«, sagt Lisso verbittert.

Nachdem sich auch Salzlandkreis-Politiker wenig beeindruckt zeigten, nahmen sich die Bauern selbst der Sache an. Sie investierten in eine Grabenfräse und zogen nötige Gräben, um das Wasser im Mutterboden abzuleiten. Doch statt Beifall hagelte es Strafdrohungen. Das Umweltamt in Aschersleben spielte mit den Muskeln und ordnete die »sofortige kostenpflichtige Schließung der Böschungsscharten« an. Grund: Man habe unerlaubt gebaggert. Bei Zuwiderhandlung würde es noch viel teuer für die um ihre Äcker beraubten Bauern.

Unansehnlich aber nicht gefährlich

Als ein Grund für die harsche Reaktion der Behörde gilt die braune Farbe des Wassers, das sich nun in den Gräben sammelte und über Bäche in den See gelangt wäre. Jene Huminsäuren im Grundwasser, die dies verursachen, sind zwar nicht gefährlich für Mensch und Tier, sie sehen aber auch nicht schön aus - für Politiker mit großen Tourismusambitionen halt ein ernsthafter Makel. Schließlich hatte man schon 60 Millionen Euro in die Concordia-Pläne gebuttert.

Aufgeben wollten die Landwirte indes nicht. Inzwischen taten sie sich bis Holland nach wirksamen - beispielsweise unterirdischen - Entwässerungsmethoden um. Doch noch setzt Lisso einmal mehr auf »die schlichte Vernunft«. Denn im Zuge der Böschungsarbeiten am Concordia-See werden derzeit noch ganz andere Mengen Wasser in das geflutete Restloch gespült. Allein das Flüsschen Selke liege 53 Meter höher als das Seeufer, weiß Lisso: »Das Wasser kommt also so oder so in die Grube, ob man will oder nicht.« Und so hält er es schlicht für »widersinnig, das eine zu tun und das andere zu verbieten«. Das Hauptproblem sieht er vorerst in der Landespolitik: »Sie müssen sich selbst eingestehen, damals nicht alles richtig gemacht zu haben ...«

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