Was bleibt, sind Fragen
Gaus-Filmnächte am Berliner Ensemble
Das musikalische Erkennungszeichen einer televisionären Legende: Beethovens Takte für ein Ritterballett. So begann stets die ritterlichste aller TV-Gesprächsreihen, »Zur Person« von Günter Gaus. Über 250 Interviews, aufgenommen in den Bestand des Hauses der Deutschen Geschichte in Bonn. An mehreren Abenden, morgen beginnend, zeigt nun Claus Peymanns Berliner Ensemble ausgewählte Gespräche dieser Reihe.
Der Beginn des Interviewprojekts gehörte im April 1963 zur Geburtsstunde des Zweiten Deutschen Fernsehens. Später wird die Reihe, bis Anfang 1973, in gleicher Form im Ersten Programm unter dem Titel »Zu Protokoll« gesendet; 1984 folgt dann im Westdeutschen Rundfunk der ARD »Deutsche« - eine Gesprächsfolge mit Persönlichkeiten aus Ost und West; eine Art Vorhilfeunterricht in Sachen schwieriger Zusammengehörigkeit.
Bevor »Zur Person« über den Sender ging, gestattete man dem 34-jährigen Gaus eine Probesendung, für die sich Hans Werner Richter, Begründer der literarischen Gruppe 47, zur Verfügung stellte. Das Interview missglückte vollständig. Hektik, holpernde Unprofessionalität. Gaus meinte, es sei kühn vom ZDF gewesen, danach überhaupt noch den eigentlichen Start gewagt zu haben.
Interviews sind Verlustanzeigen. Unsere Sprache nämlich, wo sie eine öffentliche Funktion wahrnimmt, signalisiert den nicht zu tilgenden Abstand zwischen uns und dem Bild, das uns aussagt. Für eine Gesprächssituation konditioniert man sich zwischen Verbergungs- und Entblößungssprache. Dieser Widerspruch zwischen der Wirklichkeit alles Gesagten und dem wirklichen Ich war dem Interviewer Gaus stets bewusst. Es ging ihm nicht darum, diese Spannung zu umgehen, sondern in einer Weise damit umzugehen, die seiner eigenen Denkungsart entsprach.
Aus diesem Bewusstsein heraus entstanden Meisterwerke der Erkundigung. Ohne dass Gaus mehr als nur seine Fragen ins Feld führte. Von daher jene über die Jahre hinweg bewusst bewahrte Kargheit der Gesprächssituation und die prononcierte Zurücknahme des Interviewers, der sich lediglich für einen knapp halbminütigen Vorspanntext ins Gesicht blicken ließ. Und auch im Zwischen- und Nachfragen wurde nie jene Grenzlinie überschritten, hinter der aus einem Interview unweigerlich eine Debatte würde. Dennoch: Spannung und Entspannung, Drama zwischen Überzeugung und Naturell, Gesagtem und Gestus - »er hat das Zweipersonenstück entworfen« (Günter de Bruyn).
Die Abstufungen sind bekannt: zwischen dem Extrem einer schmeichelnden Interviewführung und dem anderen Extrem, der Ausstellung des Gesprächspartners, mit deutlicher Absicht des Fragers, eine intellektuelle Selbstfeier zu veranstalten. Gaus erlag weder den Bequemlichkeiten einer Technik, die man heute Statement nennt, noch enthüllte er, auf dass recht viel Glanz auf den investigativen Frager falle. Im Grunde fragte Gaus, dieser noble hanseatische Rationalist, tief und doch sorglich auf mögliche Verletzungen achtend, damit dem Zuschauer bewusst werde und bleibe, dass allen Entscheidungsfeldern im öffentlichen Raum nichts mehr und nichts weniger als ein begrenztes Menschenmaß zugrunde liegt.
Die DDR musste erst untergehen, damit er sich einem größeren ostdeutschen Fernsehpublikum nachhaltig ins Gedächtnis bringen konnte. Die 1990 (nur im Osten!) wiederaufgenommene Reihe »Zur Person« wurde ein Dokument verwandelter Zeiten. Hans Bentzien, Generalintendant des Fernsehens der DDR (später dann, bis zur Abschaltung wieder: Deutscher Fernsehfunk), hatte ihm vorgeschlagen, vor der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 Männer und Frauen dieser politischen Zwischenzeit zu befragen, im wöchentlichen Wechsel. Spurensuche in einer Transitlandschaft.
Gaus erinnerte sich später gern an die ihn damals überraschenden Freiheiten, die ihm geschaffen und gelassen wurden, »Freiheiten, die unter bestimmten Umständen nicht mal der Pluralismus kennt, weil auch dort Anstaltshierarchien, Parteiungen und feige Selbstkontrolle verlässlich ihr Werk tun«.
Als Gaus 1963 begann, war Fernsehen für jeden Politiker Abenteuer und Risiko. Vor dem Gespräch mit Willy Brandt etwa ging dieser gemeinsam mit Egon Bahr bang und bänger tagelang die Themen und Details durch, die dieser listige Gaus erfragen könnte. Heute steht ein TV-Termin als x-beliebiger Kalenderpunkt zwischen »Frühstück mit BILD« und der Signiersunde in einem Freizeitpark.
Gespräche von Günter Gaus, der 2004 starb, hatten Vertrauen in öffentlichen Austausch, aus ihnen ließ sich Hoffnung ableiten - in die Souveränität eines Fernsehens, das aufklären möchte und selber Freude daran hat, Urteilsfähigkeit auszubilden. Das Berliner Ensemble erinnert mit seinen Gaus-Filmnächten an das Närrische, an das absonderlich Gewordene solcher Hoffnung. Denn das weltzerstückelnde Schalten und Walten des großen Mediums hat dafür gesorgt, dass Unterhaltungen, die früher Interviews hießen, sprunghaft, voll fahriger Schnitte ihre Treibjagd des Bunten gegen das wahrhaft Lebensfarbige austragen.
Die Gespräche »Zur Person« bleiben, indem sie klug an das Wichtigste gemahnen: Fragen.
● Gaus-Filmnächte im BE:
Rudi Dutschke, Christian Klar (28.9.), Konrad Adenauer, Hannah Arendt (29.9)., Gustaf Gründgens, Claus Peymann (30.9.), Christa Wolf, Günter Grass ( 2.10.), George Tabori, Thomas Langhoff (5.10.), Katharina Thalbach, Inge Keller (6.10.) Jeweils 19 Uhr in der BE-Tischlerei
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