Sobald sich in Washington das Ministerium für Staatssicherheit - oder wie immer es heißen mag - etabliert hat, könnte durchaus geschehen, dass der britische Regisseur Ken Loach nicht mehr in die USA eingelassen wird. Aufgefordert, einen Kurzfilm über den 11. September zu drehen, rückte Loach nämlich nicht das Datum des Terroranschlags auf die New Yorker Zwillingstürme ins Zentrum, sondern den 11. September 1973, den Militärputsch gegen Salvador Allende. So sieht man in einer polemischen, eindrucksvollen Montage zunächst den US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der 2001 davon spricht, dass die »Freiheit selbst attackiert« worden sei, und sieht dann die brennende Moneda in Santiago (übrigens, wie im Abspann zu lesen ist, ein Ausschnitt aus einer Dokumentation der DDR-Filmemacher Heynowski und Scheumann). Loach lässt den Musiker Vladimir Vega, einen chilenischen Emigranten in London, aus seinem Leben erzählen. Ein nachdenklicher, leiser Mahner, der nicht verschweigt, dass Putschist Pinochet damals mit Hilfe der CIA an die Macht kam und dass Präsident Nixon und sein Adlatus Kissinger wenigstens indirekt für die Verbrechen an chilenischen Demokraten mit verantwortlich sind. Dass Loachs agitatorisches Pamphlet nicht in einer kühlen, schlagzeilenhaften USA-Kritik steckenbleibt, liegt vor allem in der Emotionalität seines Protagonisten begründet. Der Terror, so vermittelt der Film, war sowohl am 11. September 1973 als auch am 11. September 2001 ein Verbrechen. Terror ist immer Verbrechen. Man sollte nur daran denken, dass es für Hass und Gewalt auch Vorgeschichten, Vorgeschichte gibt. »11'09''01 - September 11« heißt das abendfüllende Projekt des französischen Produzenten Alain Brigand, in dem diese Episode zu sehen ist. Wie Ken Loach wurden zehn weitere, mehr oder weniger bekannte Regisseure des internationalen Autorenkinos aufgefordert, ihren filmischen Kommentar zum Anschlag auf die Zwillingstürme abzugeben. Die jeweilige Filmlänge musste, so lautete die Vorgabe, elf Minuten, neun Sekunden und ein Bild betragen. Was innerhalb dieses formal strengen Rahmens zu sehen sein würde, war jedem Künstler freigestellt. Eingeladen wurden zwei Frauen und neun Männer aus Asien, Afrika, Ost- und Westeuropa, Lateinamerika und den USA: Christen, Juden, Moslems, Buddhisten, Hinduisten. Die Gefahr, dass »11'09''01 - September 11« die vom Fernsehen häufig wiederholten Szenen vom einstürzenden World Trade Center noch einige weitere Male reproduzieren würde, bestand bei der Vielfalt der Handschriften eher nicht. So tauchen die von CNN und anderen Nachrichtensendern bis zum Überdruss vermarkteten Bilder kaum auf, und wenn, dann oft verfremdet. Am konsequentesten macht das der Mexikaner Alejandro González Iñárritu: Er lässt die Leinwand die meiste Zeit schwarz, blendet hin und wieder Tonfetzen aus Fernsehberichten oder von Anrufbeantwortern ein und zeigt nur ganz kurz die Fassaden der Türme, an denen Menschen in den Abgrund schweben, nein: stürzen. Das Grauen ästhetisch verdichtet: eine sehr viel eindringlichere Komposition als die bekannten, zur Abstumpfung führenden Totalen des Schreckens. Die schlechteste Figur im Reigen der elf Regisseure macht zweifellos Claude Lelouch, der nichts anderes zu Stande bringt, als was er sein Leben lang praktizierte: Er erzählt die sentimentale Liebesgeschichte zwischen einem New Yorker Fremdenführer und einer Taubstummen, die sich gerade von ihm trennen will, einen Abschiedsbrief schreibt und wegen ihrer Taubheit nicht mitbekommt, was gerade im Fernsehen zu sehen ist. Am Ende steht der Mann staubbedeckt in der Tür, sie fallen sich in die Arme: Schluchz! - Von anderem Format ist der Beitrag der Inderin Mira Nair, die genau das belegt, was US-amerikanische Behörden regelmäßig bestreiten: dass nämlich nach dem Anschlag eine undifferenzierte Hatz auf Moslems einsetzte. Hier sucht eine Mutter ihren als Terroristen verdächtigten Sohn, dessen Schicksal über Monate im Dunkeln bleibt - bis sich herausstellt, dass er zu jenen gehörte, die am 11. September Menschen retteten und dabei selbst den Tod fanden. Eine authentische, dokumentarisch inszenierte Episode. Einen Höhepunkt innerhalb der Stil- und Themenvielfalt des Films nimmt zweifellos die Episode des US-Schauspielers und -Regisseurs Sean Penn ein. Der porträtiert einen alten Mann, gespielt von Ernest Borgnine, in einer winzigen, schäbigen Wohnung. Der Greis erinnert sich seiner verstorbenen Frau, aber die Blumen, die er zu ihrem Andenken pflegt, wollen, weil kaum Licht ins Zimmer fällt, nicht blühen. Dann, plötzlich, verschwinden die Schatten. Zum ersten Mal dringen Sonnenstrahlen in die Behausung ein, die Blume beginnt sich aufzurichten: Die Zwillingstürme in der Nachbarschaft des Alten sind zusammengebrochen. - Das mag, wer will, als pure Blasphemie abtun. Doch Penns Film, der der in den USA herrschenden political correctness diametral entgegen steht, ist vor allem eine grandiose Metapher für jene Erleuchtung, die mit und nach dem Attentat hätte einsetzen können (und die, bekanntermaßen, unter anderem von der Demagogie Bushs behindert wurde). Die andere Hälfte der Filme lässt sich gar nicht erst auf New-York-Bilder ein. Der Japaner Shohei Imamura entwirft, in angestrengt theatralischer Pose, die Sage von einem Soldaten, der angesichts der (einst von den USA abgeworfenen) Atombombe von Hiroshima zur Schlange mutierte. Ein verschlüsselter, enigmatischer Film, dessen Credo »Es gibt keinen gerechten Krieg« etwas aufgesetzt wirkt. Rätselhaft, weil dramaturgisch chaotisch, bleibt auch der Beitrag des Ägypters Youssef Chahine, dem ein toter palästinensischer Selbstmord-Attentäter als mahnende Figur erscheint. Um die Korrespondenz zwischen dem Anschlag aufs World Trade Center und dem Schicksal des palästinensischen Volkes zu beleuchten, hätte es eines zwingenderen Films bedurft. Gescheitert ist nicht zuletzt der Israeli Amos Gitai, der in einer einzigen Einstellung vorführt, wie eine gehetzte, genervte TV-Reporterin vergebens versucht, mit einem Live-Bericht von einem Attentat in Jerusalem auf ihren Sender zu gelangen: Der Einsturz der Zwillingstürme verdrängt alles andere vom Bildschirm. Zweimal in »11'09''01 - September 11« kommen neben Müttern, Liebespaaren und allegorischen Figuren auch Kinder ins Spiel. Die Iranerin Samira Makhmalbaf führt in ein Flüchtlingslager irgendwo im arabischen Raum, wo Halbwüchsige in einer mittelalterlich anmutenden Ziegelei schuften müssen und ihnen eine junge Lehrerin zu erklären versucht, was sich im fernen New York vollzogen hat. Doch weder das noch die angesetzte Trauerminute wollen so recht gelingen: Kinder reflektieren Politik eben auf ganz eigene Weise, wobei ihre Naivität mitunter hellsichtigere Resultate zeitigt als das Nachdenken Erwachsener. - Idrissa Ouedraogo aus Burkina Faso schließlich folgt ein paar Jungen durch Ouagadougou, die in einem fremden Mann Osama Bin Laden erkannt zu haben glauben. Das Lösegeld könnten sie gut gebrauchen: Damit wäre die Ausbildung eines armen Klassenkameraden gesichert... Mit dieser vielschichtigen, die »erste« und die »dritte« Welt verknotenden Episode kommt einmal auch Heiterkeit in den Film. US-Behörden, die dem ganzen Projekt »Antiamerikanismus« bescheinigt haben, mögen dies wie vieles andere unangemessen finden. Doch bei allen Schwächen, die »11'09''01 - September 11« im Detail hat, ist diese Episodencollage die derzeit wichtigste cinéastische Wortmeldung nach dem Terroranschlag. Anders als manche Hollywood-Großproduktionen, die den Rachedurst vieler US-Amerikaner noch unterfüttern, verharrt »11'09''01 - September 11« nämlich nicht am amerikanischen Bauchnabel, sondern fragt nach globalen Ursachen und Folgen. Danach, was die ganze Welt umtreibt, spaltet, zerstören kann - und was sie im Innersten zusammenhält.