Dalí der Anarchist! Dalí der Monarchist! Dalí der Faschist! Der Surrealist! Atheist, Papist und Kommunist! Kein Künstler des 20. Jahrhunderts erhielt und gab sich so viele und widersprüchliche Etiketten wie der Katalane Salvador Dalí, kaum einer wurde so berühmt und in dem Maße wie er zur Ikone modernen Künstlertums.
Dalí war schon früh von dem Wunsch besessen, reich und berühmt zu werden, mit dreieinhalb jedoch wollte er noch Köchin werden, nicht Koch. Mit sechs war er versessen darauf, Napoleon zu sein, und seitdem hat seine Ambition keinen anderen Weg als den weiter nach oben genommen. Als Sechzehnjähriger schrieb er in sein Tagebuch, die Akademie in Madrid sei ein lebenswichtiger Schritt zu internationalem Ruhm, und zwei Jahre später begann er sein Studium an der königlichen Akademie von San Fernando und zog in die »Residencia de Estudiantes«, wo er zwei wichtige Freundschaften schloss: mit Luis Buñuel und Federico García Lorca. Nach seinem Ausschluss aus der Akademie, weil er es ablehnte, sich von Professoren prüfen zu lassen, die ihm nicht gewachsen seien, war Paris das angestrebte nächste Ziel, nur dort, davon war er überzeugt, würde ihm der große, der wirkliche Durchbruch gelingen. Zunächst jedoch zog er ins Sommerhaus der Eltern nach Cadaqués an der nördlichen Costa Brava zurück und malte.
Das Jahr, das als Initialzündung seinen Ruhm begründen wird, ist 1929. Der Ort: Cadaqués, Angelpunkt des Dalíschen Kosmos. Anfang des Jahres dreht er zusammen mit Buñuel den Film »Ein andalusischer Hund«, der im Juni in Paris uraufgeführt und zum überragenden Erfolg wird. Im Triumph kehrt er heim, »trunken vor Erfolg«, wie er sagt. Während er mit Buñuel am nächsten gemeinsamen Projekt, dem Film »L'Age d'or« (Das goldene Zeitalter) arbeitet, besuchen ihn Mitglieder aus der Gruppe der Surrealisten, um das katalanische Wunderkind kennen zu lernen. Paul Éluard und seine Frau Helena Dmitriewna Diakonowa sind dabei. Dalí ist sofort von dieser Frau begeistert, ihre kühle Weltgewandtheit erregt ihn. »Da ist eine tolle Frau angekommen!«, sagt er zu Buñuel, er wolle alles daransetzen, sie zu erobern. Es wird ihm gelingen, und Gala, wie er sie fortan nennt, wird ihn nicht mehr verlassen. Der Dichter Éluard reist in jenem Sommer allein ab. Im Herbst seines Jahres eröffnet Dalí bei Goemans in Paris seine erste große Ausstellung und in der zwölften und letzten Ausgabe des Magazins »La Révolution Surréaliste« findet sich ein Foto Dalís als Mitglied der Gruppe der Surrealisten um André Breton. Paris war erobert.
Ab Anfang der 30er Jahre war Dalí schließlich davon überzeugt, Weltruhm nur in Amerika erlangen zu können. Fünf Jahre später fährt das Paar dann zum ersten Mal über den Atlantik, und Dalís Ausstellung in New York wird zum großen Erfolg. Im Dezember 1936, beim zweiten Aufenthalt, erscheint er in einem Foto Man Rays auf die Titelseite von »Time Magazine«. Dalí hat es geschafft, er wird zum »Mister Surrealism«, illustriert Bücher, macht Werbespots, Kostümentwürfe fürs Ballett, arbeitet mit Hitchcock und Disney an Filmen, schreibt seinen Roman »Hidden Faces« und »Das Geheime Leben des Salvador Dalí« - der Künstler verdient in der neuen Welt sehr viel Geld. Die Gier nach Gold aber trägt ihm auf der anderen Seite des Atlantiks, in Paris, den Namen »Avida Dollars« ein, ein von André Breton verfasstes Anagramm auf den Namen Salvador Dalí - Scrabble für Surrealisten. Es sollte so viel wie »Hungrig auf Dollars« bedeuten. Das feminine A des Adjektivs avida muss nicht nur aus der Notwendigkeit der vorhanden Buchstaben zu Stande gekommen sein, es ist unbewusst und thematisch der Verweis auf Gala, denn sie kümmerte sich mit straffer Hand um die Geschäfte der beiden, und man sagte ihr nach, sie sei weit gieriger gewesen als ihr Mann. Für Dalí maß sich Anerkennung stets in barer Münze: »Der Erfolg eines Malers beginnt für die gewöhnlichen Sterblichen an dem Tag, an dem der Maler sich ein Auto gekauft hat«, schrieb er. »Aber er ist sogar noch erfolgreicher, wenn er einen gutaussehenden Chauffeur und einen Lakaien hat. Das beweist den Außenstehenden, dass er viel Geld verdient.«
Amerika weist Salvador Dalí den Weg und seit 1934 stilisiert und inszeniert er sich zunehmend zur öffentlichen Figur. Das Privatleben von Künstlern enthält immer einen Funken Öffentlichkeit, im Falle Dalís wird dieser Funke zum Brand, denn nur wenige Künstler lebten ein solch öffentliches Leben wie er, waren so freigebig mit den intimsten Informationen über sich. Es gelang ihm, aus seiner Biografie eine plastische und literarische Konstruktion zu schaffen - denn mit über neunzig Veröffentlichungen muss Dalí auch als Autor verstanden werden -, die als Bindeglied alle Aspekte seiner Arbeit verband und ihnen letztendlich sogar Sinne verlieh. Dalí war ein Selbstinszenierungskünstler besonderer Qualität, einzigartig sowohl in seiner Darstellungswut wie in der behutsamen Inszenesetzung seiner Person und seines Werks. Beide sind untrennbar miteinander verschmolzen. Dalí lehrte den Betrachter durch die ausufernden Beschreibungen seines Lebens, wie er gesehen werden wollte. Im Arrangement seines Erfolgs ging er bisweilen durchaus skrupellos vor und instrumentalisierte Menschen und Ideen. Früh besessen von dem drängenden Wunsch, in seiner Heimatstadt Figueres ein eigenes Museum zu haben, diente er sich Franco und den Faschisten an, während er gleichzeitig Seite an Seite mit den Studenten des Mai 1968 durch die Straßen von Paris marschierte. Dalí der Opportunist - ein weiteres Etikett.
Früh schon führte dieser überbordende Mensch den Konflikt mit Breton und den Surrealisten herbei und nach der Rückkehr von der ersten Amerikafahrt zitiert man ihn vor ein surrealistisches Tribunal. Breton fordert seinen Ausschluss, bezichtigt ihn der Unterstützung des Faschismus, der Verehrung Hitlers, vor allem der Verunglimpfung Lenins in dem Bild »Das Rätsel Wilhelm Tell«. Breton veranlasst Tanguy und Péret, mit ihm gemeinsam ins Grand Palais zu gehen, um das Bild zu zerstören, mit ihren Spazierstöcken wollen sie es durchlöchern. Es hängt zu hoch. Enttäuscht über das fehlgegangene Attentat am Bild lässt Breton Dalí eine Erklärung unterzeichnen, in der es heißt, er sei kein Feind des Proletariats. Das folgende Tribunal gestaltet Dalí zu seiner surrealistischen Bühne, er pocht auf sein Recht, Breton und sich beim homosexuellen Geschlechtsverkehr zu malen, was dem prüden Franzosen die Fassung gänzlich raubt, erklärt, an Hitler habe ihn nur die Erotik seines fleischigen, weichlichen Rückens und Nackens erregt. Schließlich fällt Dalí vor Breton auf die Knie und schreit, er sei kein Feind des Proletariats. Er fleht sie alle schluchzend an und faltet die Hände: »Ich bin kein Feind des Proletariats!« Zu dieser Zeit ist ihm die Mitgliedschaft in der Gruppe sehr wichtig, sein Ruhm noch nicht so gefestigt, dass er ohne sie operieren kann. Acht Jahre später ist das anders, in Abwesenheit - denn die Dalís leben in den USA - wird er ausgeschlossen. Es interessiert ihn nicht mehr, er ist »Mr. Surrealism« und setzt alles daran, diesem Etikett ein Leben lang gerecht zu werden.
Am 11. Mai wäre der geniale Katalane, dessen Bild der »Weichen Uhren« eins der bekanntesten und am stärksten vermarkteten der Welt ist, einhundert Jahre alt geworden.
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