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  • Politik
  • La Didone von Cavalli im Berliner Hebbel-Theater

Spielball der Mächtigen

  • Liesel Markowski
  • Lesedauer: 4 Min.

Bravos und Juchzer für einen ungewöhnlichen Opernabend. Im Berliner Hebbel-Theater hatte »La Didone« von Pietro Francesco Cavalli Premiere. Ungewöhnlich, da Altes neu entdeckt und interpretiert wurde. Die Staatsoper Unter den Linden hat durch diese Einstudierung in Co-Produktion mit den Schwetzinger Festspielen ihre Bemühungen um Historisches auf interessante Weise fortgesetzt.

1641 komponierte Cavalli (1602 bis 1676), Zeitgenosse und Schüler Monteverdis, seine dritte von über 40 Opern. Gedacht war sie für die wenige Jahre zuvor in Venedig errichtete erste öffentliche Bühne, das Teatro San Cassiano, wo sich ein zahlendes bürgerliches Publikum einfand.

Die antike Fabel von der Liebe Didos, Königin Karthagos, und dem Trojaner Aeneas wurde durch den Librettisten Giovanni Francesco Busenello szenisch brisant gefaßt. Dabei haben sicher Erfahrungen des 30jährigen Krieges, das bestimmende Ereignis dieser Zeit, auf den Dichter eingewirkt: In Verwüstung und Gewalt, Tod, tragische Liebe und Wahnsinn werden Menschen durch die Macht und Willkür der Götter gestoßen. Das zerstörte Troja im ersten Akt, wo Aeneas mit seinen Angehörigen umherirrt, dem Sohn Askanios, dem verwundeten Vater Anchises. Griechische Soldaten ermorden sein Weib. König Priamos“ Witwe Hekube und ihre Tochter Kassandra (deren Warnung niemand erhörte) warten auf ihren Tod - es ist eine Stadt der Trauer und Klage. Das Karthago des zweiten Aktes,

wohin Venus, Aeneas Mutter, trotz gefahrvoller Eingriffe der Göttin Juno ihren Sohn lenkt, ist eine blühende Metropole. Doch die Königin wird von düsteren Ahnungen ihres“ Untergangs ?verfolgt.--Sie > weist die Werbung des Gaetülief-KÖnigs Jarbas zurück, im Gedenken an ihren' erschlagenen Mann. Alles weitere wird vom Willen der Götter bestimmt: Dido und Aeneas zur gegenseitigen Liebe durch Amors Pfeil verführt, Jarbas in Wahnsinn geworfen, Aeneas von Merkur zur Abreise nach Italien befohlen, wo er das Römische Reich gründen soll. Diensteifrig folgt er der Weisung. Dido bleibt in Verzweiflung zurück.

Die Inszenierung von Jakob Peters-Messer nimmt diese tragische Linie ernst. Dido und der durch Götterzeichen gesundete Jarbas begehen aus freiem Willen Selbstmord. Das vorgesehene »Iieto fine« findet nur als illusionäres Marionettenspiel der Götter statt, als Selbstbetrug der Herrschenden gewissermaßen. Die szenische Gestaltung der Bühne durch Roland Aeschlimann machte solche Züge durch Abstraktion und den fast völligen Verzicht auf Requisiten deutlich. Auf zwei beweglichen Ebenen findet das schnell wechselnde Spiel statt: Nach unten gewölbt ist der verstellbare Himmel. Nach oben gewölbt ist die Erde. Die Menschen sind gefesselt an ihr Dasein, sind ein Spielball der mächtigen Götter. Matte Blautöne und ein vorwiegend dunkler Bühnenhintergrund wirken neutral, lenken den Blick auf die Protagonisten. Geschickt werden die Vorgänge der verschiedenen Schauplätze von der Regie verzahnt. So wenn Karthago aus den Scherben Trojas erbaut wird, oder Personen mit Doppelbesetzung, wie vor allem Kassandra/Dido, bedacht werden.

Die Kostüme von Jutta Delorme kontrastieren Renaissance-Elemente bei den Kleidern der Menschen mit den prunkvollen Barockgewändern der Götter. Der Züg'des HiStöf iöfrhwübergf eifernden,' einer Art Welttheater,'läßt auch den Vergleich zu Verstrickungen und Widrigkeiten 'in unserer Gegenwart zu. Auf einem blauen Kegel stehend, warnt Fortuna im Prolog vor Strafe und Rache der Götter, ein symbolträchtiges Bild.

Am stärksten vermittelt Cavallis Musik die ergreifende Tragik dieser schicksalhaften Fabel: Sie ist in ihrer deklamatorischen Grundhaltung äußerst expressiv und effektgeladen. Die Klagegesänge -Lamenti - von Kassandra und Hekube oder Didos Abschiedsgesang weisen in Ernst und Kraft ihrer Aussage auf manch späteren Opernmonolog. Die Rezitative (besonders die von Detlef Bratschke eingerichteten Accompagnati) sind von intensiver Gestik geprägt. Thomas Hengelbrock besorgte die musikalische Einrichtung und bringt die Farbigkeit der Partitur, den Einfallsreichtum Cavallis wunderschön zur Entfaltung: Liedhaft-Inniges ebenso wie Madrigalesk-Lockeres und Tänzerisches. Amüsant-unterhaltsam die von der Regie mit hübschen Einfällen bedachten Barockpartien.

Prächtig die musikalischen Leistungen: Unter Hengelbrocks kundiger Leitung vom Violinenpult aus wurde ganz vorzüglich gespielt und gesungen. Das Pythagoras Ensemble beherrschte das spezifische Klangmedium historischer Instrumente (darunter Zinken, Blockflöten, Lauten, Gamben) souverän. Die Sänger gestalteten ihre, Parts intensiv und ausdrucksstark. Allen voran zu nennen Yvonne Kenny mit edlem Sopran als Kassandra/Dido und Laurence Dale, ein Ae-

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