Papas Gemächt

Sedes-vakanz

  • Lesedauer: 2 Min.
Sedisvakanz nennt sich die Zeit, da der Heilige Stuhl in Rom unbesetzt ist, meist einige Wochen; es soll jedoch sogar schon mal zwei Jahren gedauert haben, bis der Christenheit froh verkündet werden konnte: Habemus Papam. Das klanggleiche »sedes«, zwitscherte mir ein Vögelchen und bestätigt das Wörterbuch, heißt im Polnischen Sitzbrett, Klosettbrille. Das bringt ein ketzerisches Hirn auf eine unappetitliche Abschweifung: Über sechs Jahrhunderte war im Vatikan ein höchst merkwürdiger Stuhl im Gebrauch, den es auch heute noch dort gibt, indes mit keinerlei Hinweis auf dessen ur-eigentliche Bestimmung. Gemeint ist der sella stercoraria, »Dungsessel«. In der Mitte eine Öffnung, ähnlich einem Klo. Nachdem das Konklave einig geworden war, hatte der künftige Stellvertreter Gottes auf Erden auf diesem Platz zu nehmen, damit ein apostolischer Sekretär (oder wer auch immer) dessen Genitalien unter weitem Gewande betasten, sich vom Geschlecht respektive Gemächt überzeugen konnte. Nach Vergewisserung ließ er die Kardinäle wissen: »Mas nobis nominats est.« Unser Erwählter ist ein Mann. Frauen, die Inkarnation der Erbsünde, waren und sind nicht erwünscht auf dem Throne Petris. Und doch hat es eine dereinst gewagt, diesen zu besteigen, sich heimlich zu erschleichen: Päpstin Johanna, vielen sicher bekannt durch den Bestseller von Donna W. Cross (Atv, 2000), eine fiktive Geschichte, die sich auf einen - mit 99,99-prozentiger Wahrscheinlichkeit - authentischen Fall stützt. Eine junge Frau anglaiser Herkunft, vermutlich in deutschen Landen aufgewachsen, bildungshungrig und selbstbewusst in finsterster Zeit der Unwissenheit und des Analphabetentums als Mönch verkleidet ins Kloster Fulda eingetreten, ging nach Rom, machte Karriere in der Kirche und wurde 855 zum Papst Johannes Anglicus gekürt. Dessen wahres Geschlecht offenbarte sich erst, als er/sie während einer Prozession auf der Via Sacra (Heilige Straße, heute: San Giovanni) eine Frühgeburt erlitt und starb. Die Kirche leugnet Johanna, nennt sie eine böswillige Erfindung böswilliger Reformatoren, obwohl sie schon vor diesen durch alte Manuskripte geisterte, in einer Liber Pontificalis (Liste der Päpste) auftauchte und nicht nur von den römischen Spatzen, vom Volksmund, von Petrarca und Boccaccio besungen wurde. Zudem: Bei aller Unlogik christlicher Mysterien, dass die so genannte Sesselüberprüfung ihretwegen Ende des 9. Jahrhunderts eingeführt wurde, entbehrt nicht einer gewissen Logik. KV

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