Mein lieber Schwan!
Graupa hat die erste Richard-Wagner-Gedenkstätte der Welt und bald noch ein Schloss, das ganz dem Musiker gewidmet ist
Der Umbau des Jagdschlosses Graupa zu einer Richard-Wagner-Gedenkstätte hätte dem Meister sicher sehr gefallen. Meiner Bedeutung angemessen!, würde er sich wohl gedacht haben. Denn an mangelndem Selbstbewusstsein und übergroßer Bescheidenheit litt er zeitlebens nicht. Ein Schloss, vielmehr ein ganzer Ort, der sich ganz und gar seinem Andenken verschreibt, das wäre genau nach seinem Geschmack gewesen.
Graupa, seit 1999 ein Ortsteil von Pirna, war im Sommer 1846 für den damals 33-jährigen Dresdner Hofkapellmeister eine Art Fluchtort. Gemeinsam mit seiner ersten Frau Minna und dem Hund Peps wollte er sich in der ländlichen Abgeschiedenheit von den Strapazen der Arbeit erholen. Er fühlte sich ausgebrannt und von vielen unverstanden, verspottet und zu Unrecht kritisiert. Hinzu kamen die immerwährenden Geldsorgen.
»Gott sei Lob, ich bin auf dem Lande, drei Stunden von Dresden in der reizendsten Gegend von der sächsischen Schweiz und fange wieder an, als Mensch und Künstler aufzuatmen«, schrieb er an einen Freund. Und, dass er sich von »seinem Bauernleben« erhoffe, zu gesunden und »das Musikmachen gänzlich zu vergessen«.
Die Ruhe, die langen Spaziergänge durch die Sächsische Schweiz, der Abstand von all seinen Kritikern, Spöttern und Neidern bewirkte indes genau das Gegenteil. Als Richard und Minna nach elf Wochen erholt nach Dresden zurückkehrten, hatte Wagner die Kompositionsskizzen für die Oper »Lohengrin« im Gepäck und er sprühte wieder vor Tatenlust.
Die Graupaer hatten von seiner Arbeit an der heute weltweit bekannten Oper nichts mitbekommen. Für sie war der Besucher nur insofern ein Ereignis, als dass er der erste Städter war, der sich je für länger in ihr Kaff verirrt hatte. Trafen sie Wagner, staunten sie ihn an, nach seiner Abreise aber vergaßen sie ihn schnell wieder.
Erst Jahre später, als er berühmt war und alle Welt seinetwegen nach Bayreuth pilgerte, erinnerte man sich an den Sommergast. Der neue Besitzer des Wagnerschen Sommerdomizils ließ 1903 am Eingangstor zum Gehöft eine Tafel anbringen, auf der er pathetisch dichtete: »Richard Wagner 1846. Du hobst der Väter alte Sagen aus dem versunknen Schacht empor. Nun wird, wo Künstlerherzen schlagen, die ganze Welt ein Wagnerchor«. 1907 wurde das »Lohengrinhaus« zur weltweit ersten Wagnergedenkstätte umgestaltet.
Höhen und Tiefen erlebte das Haus in den nächsten Jahrzehnten, zeitweise war es sogar geschlossen oder wurde einer anderen Nutzung zugeführt. 2006 begann die Generalsanierung des vom Hausschwamm befallenen Gebäudes, drei Jahre später wurde es als erstes Gebäude der Richard-Wagner-Stätten Graupa wiedereröffnet.
Kernstück sind die zwei von Wagner und seiner Frau bewohnten winzigen Zimmer in der ersten Etage. »Mein lieber Schwan« heißt eine Ausstellung im Erdgeschoss, die sich der Entstehung der Oper »Lohengrin« widmet. Und unterm Dach gibt es eine Stipendiatenwohnung, in der Künstler aller Couleur in Ruhe und kostenfrei sich ihrer Arbeit widmen können. Einzige Bedingung: Sie muss sich mit dem Meister beschäftigen.
Im nur ein paar Schritte vom »Lohengrinhaus« entfernten Jagdschloss haben derzeit noch die Handwerker das Sagen. Hier, wo einst der Sohn August des Starken wohnte, wenn er auf Jagd ging, und wo später Gemeindevertretung, Kinderkrippe, Schule und andere kommunale Einrichtungen ihr Domizil hatten, wird sich ab 12. Januar 2013 alles um Richard Wagner drehen. Eine multimediale Ausstellung betrachtet dann vor allem dessen frühe Schaffensperiode während seiner Zeit in Sachsen.
Empfangen werden die Schlossbesucher mit einer »Klangdusche« - beim Öffnen der Eingangstür begrüßt sie der Meister musikalisch. Unter dem Motto »Keine Angst vor Wagner, Oper ist ein Erlebnis« sind Jung und Alt eingeladen, mit Richard Wagner durch die sechs Räume im Untergeschoss zu flanieren. Man kann in Büchern stöbern, es sich in einer Sitzecke gemütlich machen und Musik hören, sich in Bühnenbildern bewegen oder mal selbst Dirigent sein. Der Saal im Obergeschoss mit rund 100 Plätzen wird bereits eine Weile für Konzerte, Lesungen oder Tagungen genutzt.
Insgesamt fließen rund sechs Millionen Euro in die Sanierung und Errichtung der Richard-Wagner-Gedenkstätten Graupa. Eine für ihre Möglichkeiten nicht unerhebliche Summe davon stellte die Stadt Pirna zur Verfügung, die seit der Eingemeindung des Ortes Besitzerin des Schlosses ist. Ein Teil des Geldes kam aus verschiedenen Fördertöpfen vom Freistaat Sachsen und dem Bund, unter anderem etwas mehr als eine Million Euro aus dem Konjunkturpaket II.
Die Entscheidung, das Jagdschloss ganz und gar dem berühmtesten Gast des Ortes zu widmen und gleichzeitig einen repräsentativen Begegnungsort für Einwohner und Besucher zu schaffen, trafen die verantwortlichen Behörden 2006. Ein Jahr später war Baubeginn. Eine besondere Herausforderung war es, den Spagat zwischen dem Erhalt der wertvollen historischen Bausubstanz und dem Umbau in ein modernes, multifunktionales Museum zu schaffen. Um den großen Saal zu zu bekommen, war es nicht nur notwendig, tragende Wände herauszubrechen, sondern auch die Decke künstlich zu erhöhen. Was Architekten und Bauleute letztlich gemeinsam schufen, kann sich wahrlich sehen lassen. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, alles sei schon immer so gewesen. Auch einige der während der Sanierung gefundenen alten Wandmalereien aus der Zeit des Barocks und der Renaissance wurden freigelegt und in die neue Gestaltung eingebunden.
In der Turmkugel fanden Bauarbeiter eine Kassette mit Dokumenten aus dem Jahr 1982. Darunter ein Schreiben des Rates der Gemeinde Graupa über die in jenem Jahr geplante Generalsanierung des Schlosses in Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Todestag Richard Wagners 1983. Und den Beschluss der Volksvertreter, dafür 60 000 Mark zur Verfügung zu stellen. Das Geld hätte heute nicht mal gereicht, um das Dach zu erneuern.
Auch der Schlossteich wurde im Zuge der Baumaßnahmen inzwischen saniert. Seit vor 70 Jahren der Schwan - als Hommage an die Oper Lohengrins - zum Wappentier Graupas wurde, ist der Teich dessen Zuhause. Mehr als 30 Jahre lang bewachte Moritz das Schloss, bis er im September 2011 starb. Im November bezogen Elsa und Gottfried, benannt nach dem Geschwisterpaar aus Lohengrin, unter Anteilnahme des gesamten Dorfes als vierte Generation den Teich.
Die Schwäne gehören genauso zum Gesamtkonzept wie der 2003 vom Heimatverein Graupa e. V. errichtete Richard-Wagner-Kulturpfad, der sich auf einer Länge von rund 650 Metern durch den angrenzenden Schlosspark schlängelt und die Besucher auf 17 Tafeln über die wichtigsten Lebens- und Schaffensstationen des Künstlers informiert. Gewaltig und raumgreifend wie Wagners Musik ist auch das weltgrößte Richard-Wagner-Denkmal im nur drei Kilometer entfernten Liebethaler Grund, das man sich keinesfalls entgehen lassen sollte, wenn man dem Meister seine Aufwartung macht. Es wurde anlässlich seines 50. Todestages in jenem wildromantischen Tal im Elbsandsteingebirge aufgestellt, in dem sich Wagner auf langen Spaziergängen von der Natur für seinen Lohengrin inspirieren ließ.
Wenn im kommenden Jahr alle Welt den 200. Geburtstag des Komponisten feiert, wird auch in der 3000-Seelen-Gemeinde Graupa ganz großer Bahnhof sein. Und manch einer wird vielleicht sogar überrascht sein, dass Richard Wagners Wurzeln in Sachsen liegen. Denn Richard war ein echter Leipziger!
Informationen zu Richard-Wagner-Gedenkstätten Graupa im Internet unter: www.graupa-online.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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