Markt fällt Todesurteil
Menschen in armen Ländern können sich keine effektiven Krebsmedikamente leisten
Nicht nur in der Laienpresse herrscht weiterhin die Meinung vor, dass Krebs nur ein Problem der reichen Länder ist. Dabei wird offensichtlich übersehen, dass Krebs schon längst ein Problem auch der armen Länder ist, so Cavalli. Gerade in den Ländern des Südens verschärfe sich die Lage massiv. Dieser medial kaum beachtete Trend habe mehrere Gründe. Zunächst gebe es in den Staaten des Südens kaum Prävention oder Systeme der Früherfassung von Patienten. »Auffallend ist zudem, dass der rasche gesellschaftliche Wandel in Schwellenstaaten, man könnte es die Verwestlichung nennen, neue Tumorarten entstehen lässt, während die alten weiterhin existieren«, fügt der Politiker und Mediziner an.
Bei Gebärmutterhalskrebs oder Magenkrebs etwa handele es sich um Tumorarten, die in den Industriestaaten im Verschwinden begriffen sind. Zu diesen Tumoren kämen im Süden nun neue Krebsarten, etwa durch Genussmittel oder eine Umstellung der Ernährung, führt Cavalli in seinem Buch aus: »Das Problem in den armen Staaten ist, dass es heute eine größere Bandbreite an Krebserkrankungen gibt, die Menschen zugleich aber einen sehr begrenzten Zugang zu entsprechenden Pharmazeutika haben.«
Vehement tritt Cavalli der vorherrschenden Meinung entgegen, dass die Staaten des globalen Südens vor allem mit Tropenkrankheiten wie Malaria oder mit HIV/Aids zu kämpfen hätten. Diese Meinung existiere, »weil wir in der Medizin ein auf Europa und die Industriestaaten zentriertes Weltbild haben«, so Cavalli. Deswegen sei die Bedeutung von Infektionskrankheiten bei der Entstehung von Krebs lange unterschätzt worden. Heute wisse man: Weltweit sind 15 Prozent der Krebserkrankungen infektionsbedingt. In den Ländern südlich der Sahara aber sind es rund 70 Prozent.
Der Autor warnt mit Blick auf den vom Markt reglementierten Zugang auf Pharmazeutika vor einer »dramatischen Situation« für Entwicklungs- und Schwellenstaaten. Die Lage sei vergleichbar mit dem Kampf gegen HIV und Aids vor wenigen Jahren. »Damals wurde zum Beispiel in Südafrika das Schweizer Pharmaunternehmen Roche auf juristischem Weg dazu gezwungen, auf seinen Patentschutz zu verzichten und die Produktion von Nachahmerpräparaten, sogenannten Generika, zu akzeptieren«, so Cavalli. Derzeit laufen in Indien ähnliche Prozesse zwischen den Behörden des Landes und den Pharmakonzernen Novartis und Bayer, die versuchen, die Produktion von Generika zu verhindern. »Ich denke, dass es in den Staaten des Südens derzeit Hunderttausende Krebspatienten gibt, die sich keine adäquaten Medikamente leisten können«, warnt der renommierte Onkologe und Aktivist. Diese globale Kluft werde umso größer, je besser und effektiver die Krebsmedikamente werden.
Heute könne man viele Tumoren heilen und in diesem Maße werde es wichtiger, auch den Menschen in Entwicklungs- und Schwellenstaaten einen Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln zu gewähren. »Man muss sich vorstellen, dass in einigen dieser Staaten die Regierungen 50 Franken (rund 41 Euro) pro Kopf für das Gesundheitssystem aufwenden«, erklärt Cavalli gegenüber dem »nd«. Bei neuen Krebsmedikamenten, etwa der Wirkstoffgruppe der Tyrosinkinasehemmer, betragen die Kosten pro Patient und Monat nicht selten mehrere tausend Euro. Dann entscheidet der Markt über Leben und Tod.
Franco Cavalli: Krebs: Die große Herausforderung, Rotpunktverlag, Zürich, 199 Seiten, 24,50 €.
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