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Der taumelnde Titelverteidiger
Drei Neuerscheinungen zum Präsidentenwahlkampf in den USA
Die US-Präsidentschaftswahl kommenden Dienstag, bei der Barack Obama das Mandat für eine zweite Amtszeit zu gewinnen hofft, hat viele Beobachter zu Büchern veranlasst: Wie hat sich der 44., der erste nicht-weiße Präsident in den Jahren seit seinem Wahlsieg entwickelt? Wie fällt die Bilanz des Mannes aus, der den 310 Millionen US-Bürgern »Hoffnung« und »Wandel« angekündigt hatte? Wie stehen die USA heute da? Und: Was ist von Obama bei Wiederwahl zu erwarten?
Es gibt drei Neuerscheinungen von Korrespondenten, die Obamas erste Amtszeit vor Ort erlebten. Bei allen Unterschieden fällt auf, dass dessen republikanischer Herausforderer Mitt Romney, ein Finanzmanager mit rund 250 Millionen Dollar Privatvermögen und nach jüngsten Umfragen mit gleichwertigen Chancen auf den Wahlsieg, in keinem dieser Bücher eine größere Rolle spielt. Das war gewiss dem frühen Redaktionsschluss, aber wohl auch der lang geltenden Einschätzung geschuldet, dass dieses klassische Gesicht des Casinokapitalismus keine echte Siegchance gegen den Rhetoriker im Amt haben werde. Das hat sich geändert.
Von seinem Anliegen her am interessantesten erscheint Christoph von Marschalls »Der neue Obama«, zumal der Untertitel Neugier weckt: »Was von der zweiten Amtszeit zu erwarten ist«. Zudem ist der Korrespondent des Berliner »Tagesspiegel« der Dienstälteste der drei Autoren in Washington, Verfasser von Porträts über Michelle und Barack Obama (»Der schwarze Kennedy«, 2007) und einziger deutscher Zeitungskorrespondent mit Dauerpass fürs Weiße Haus. Der Historiker geht trotz durchwachsener Bilanz und vieler Wählervorbehalte gegenüber den Amtsinhaber von Obamas Wiederwahl aus. Er erinnert an dessen Leistungen (Gesundheitsreform, mehr Gleichberechtigung für Frauen, Staatshilfe für wankende Autokonzerne, Gleichstellung für gleichgeschlechtliche Paare), hält aber auch fest, dass der 51-Jährige in den vergangenen Jahren von einem »Messias« zu einem »Mechaniker der Macht« wurde. Diese für den Präsidenten »schwerwiegendste Veränderung« rühre daher, dass er »nicht mehr der strahlende, unbefleckte Kandidat« von 2008 sei und heute vielen Durchschnittsamerikanern als verantwortlich für ein »Land auf dem falschen Weg« gelte.
Eine Chance auf Wiederwahl sieht Marschall in Obamas persönlicher Anständigkeit begründet, seinem Verstand und seinem Einfühlungsvermögen für einfache Menschen. Aber auch darin, dass ihn viele Bürger für »das kleinere Übel« halten. Hinzu komme die Erfahrung, dass die Wiederwahl des Staatsoberhauptes zum Regelfall geworden ist.
Wegen des scharfen Rechtsrucks der Republikaner (Tea Party), der beispiellosen Polarisierung zwischen den politischen Lagern, der horrenden Staatsverschuldung, lahmenden Wirtschaft und großmächtigen Militärausgaben sieht Marschall den Präsidenten im Falle der Wiederwahl vor der Herkulesaufgabe, wenigstens das zu verteidigen, was er in der ersten Amtszeit geschafft, aber noch keineswegs gesichert hat: z. B. die allgemeine Krankenversicherung. Die Gefahr, dass diese noch mehr verwässert oder gar ganz zurückgedreht werde, stünde als Herausforderung für Obama, falls er wiedergewählt werde, ebenso wie außenpolitisch der für 2014 angekündigte Truppenabzug aus Afghanistan. Mit dem »neuen Obama« und den Erwartungen an eine zweite Amtszeit befasst sich der Autor jedoch entgegen der Verheißung im Untertitel auf nicht mehr als zwanzig Seiten seines Buches. Der Hauptteil, lesenswert, aber nicht neu, erzählt die Geschichte Obamas und seiner Familie.
Die Aufmerksamkeit des ARD-Korrespondenten Klaus Scherer und des ORF-Korrespondenten Wolfgang Geier hingegen gilt viel stärker den USA als ihrem Präsidenten. Das macht ihre Bücher zur interessanten Ergänzung von Marschalls Buch, oder auch umgekehrt. Die beiden Journalisten schildern Beispiele für die vielfach erschreckenden Formen der Krise in den USA, die Spaltung der Gesellschaft, den aberwitzigen Rechtsrutsch der Republikaner sowie für die Verteufelung, aber auch das Zaudern des schwarzen Präsidenten selbst. Was sie beschreiben, erinnert nicht selten an Zustände in der sogenannten Dritten Welt. Geier bemerkt: »Nach jedem Sommergewitter sind in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten Tausende Haushalte ohne Strom. Ich habe in vier Jahrzehnten in Österreich nicht annähernd so viele Stromausfälle erlebt wie hier in drei Jahren.« Und Scherer, der im Grenzland von Knoxville/ Tennessee und Lexington/Kentucky eine Freiwilligenorganisation bei der Versorgung meist unversicherter Patienten in einem Notlazarett verfolgte, berichtet: »Manche Ärzte, wie Jim Jenkins, unterstützen die Hilfsorganisation seit vielen Jahren - und erfahren dennoch immer wieder Neues: ›Ich habe einer Frau gerade 16 Zähne gezogen‹, sagt er uns fassungslos in seiner Pause. ›Sie hatte die Spitze eines Drahtkleiderbügels über einer Kerze zum Glühen gebracht und sich damit selbst die Nerven abgetötet. Natürlich hatte sie weiter Infektionen, aber sie hatte den Schmerz gestoppt, wenigstens vorübergehend.‹«
Christoph von Marschall: Der neue Obama. Orell Füssli Verlag, Zürich. 238 S., geb., 14,95 €.
Klaus Scherer: Wahnsinn Amerika. Piper Verlag, München. 287 S., geb., 18,99 €.
Wolfgang Geier: Obamerika. Galila Verlag, Etsdorf am Kamp. 238 S., geb., 23,90 €.
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