Der Nord-Süd-Konflikt
Umbau der Energieversorgung in Deutschland heftig umstritten
Bundeskanzlerin Angela Merkel kann beim heutigen Energiegipfel mit den Länderchefs mal wieder in ihre Lieblingsrolle schlüpfen: als Moderatorin, die die Interessen unterschiedlicher Kontrahenten auszutarieren versucht. In Sachen Energiewende gibt es nämlich ein heftiges Tauziehen, bei dem nicht nur Parteienpräferenzen und Lobbyisten der Stromkonzerne und der Industrie eine Rolle spielen, sondern auch grundlegende Interessengegensätze zwischen den Ländern.
Zuletzt wurde deutlich, dass es auch im Energiebereich in der Bundesrepublik einen sich verschärfenden Nord-Süd-Konflikt gibt. Die norddeutschen Küstenländer drängen auf einen forcierten Ausbau der Windenergie, vor allem auf hoher See, wo der Wind stetig stark weht. Schleswig-Holstein könnte bis 2020 mit Windstrom 300 Prozent des Eigenbedarfs produzieren, rechnet SPD-Regierungschef Torsten Albig vor. Der Überschuss muss aber irgendwohin: am besten in die Südländer, die von der Schließung alter Atommeiler besonders getroffen wurden und einen sehr großen Bedarf für die Industrie stillen müssen. Freilich haben Länder wie Hessen, Baden-Württemberg und vor allem Bayern ihre eigenen Pläne. Die Münchner Staatsregierung sorgte vor wenigen Monaten mit Überlegungen für Aufsehen, den landeseigenen Energieversorger Bayernwerk wiederzubeleben, der neue Gaskraftwerke bauen soll, um die Energieversorgung sicherzustellen. Bei Photovoltaikanlagen ist Bayern ohnehin längst die deutsche Nummer eins. »Autarkie« lautet daher das Schreckgespenst, das vor allem in Norddeutschland die Runde macht.
Für die Küstenländer geht es um weit mehr als nur den Verkauf von klimafreundlich produziertem Strom. Der Offshore-Wind-Bereich ist längst zu einem recht stabilen Strohhalm für die angeschlagene deutsche Werftenbranche geworden, die sich nur noch in Nischenbereichen gegen die Billigkonkurrenz aus Asien durchsetzen kann. Dazu zählt der Bau von Spezialschiffen zur Errichtung und Wartung der Windanlagen auf hoher See ebenso wie die Herstellung von Plattformen. Vom Geschäft mit dem Wind profitieren aber auch die Seehäfen, wo Anlagenteile nicht nur verladen, sondern auch produziert, zwischengelagert oder teilmontiert werden. Zudem sind Offshore-Häfen die Basis für Spezialschiffe, die für den Transport und die Montage der Anlagen auf See benötigt werden.
Wenn die Binnenländer ihre Energieversorgung aber selbst in die Hand nehmen und zudem immer mehr Kommunen auf eine dezentrale Energiewende setzen, wird es mit dem arbeitsplatzträchtigen Offshore-Boom nichts werden. Zumal auch der Bund die Bremse anziehen will - aus wieder anderen Interessen: Für den Transport großer Strommengen vom Meer ins Voralpenland müssten die Übertragungsnetze mit Milliardenkosten ausgebaut werden, was dann wieder der Verbraucher zahlen müsste. Gerade in Wahlkampfzeiten kann sich die Regierung keine noch stärker steigenden Strompreise leisten, daher kündigte Umweltminister Peter Altmaier (CDU) bereits an, die Ausbauziele bei Offshore-Windenergie und bei Biogasanalgen zu senken.
Die Länderchefs hatten sich vor einer Woche bei einem Treffen nahe Weimar darauf geeinigt, künftig gemeinsam vorgehen zu wollen. »Es ist unverzichtbar, dass wir angesichts riesiger Ausbauprojekte zu einem koordinierten Vorgehen kommen«, erklärte Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU). Wie dies aussehen kann, blieb allerdings völlig offen. Klar ist nur, dass die Länder darauf hoffen, dass der Bund die Federführung übernimmt.
Der Ball liegt also bei der Bundesregierung. Diese sitzt aber vor einem Scherbenhaufen: Ein Jahr nach Beginn der schwarz-gelben Energiewende sind noch nicht einmal die Grundfragen geklärt: Wie schnell soll der Ausbau der Erneuerbaren vorankommen? Wie sieht es mit der Finanzierung des Umbaus aus? Wie kann das Stromsparen vorangebracht werden? Welchen Strombedarf wird es künftig geben? Das Grundproblem ist folgendes: Die Energiewende basiert auf einem unverbindlichen, zentralstaatlichen Volkswirtschaftsplan, der von Marktakteuren irgendwie umgesetzt werden soll. Lobbyinteressen und der Föderalismus könnten dem Ganzen den Garaus machen.
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