Spitzenreiter bei der Ausbeutung

Bildungsgewerkschaft GEW fordert sichere Beschäftigungsperspektiven für akademische Hochschulangestellte

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.
An Deutschlands Unis nimmt die Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse zu. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert daher Mindeststandards für die akademischen Beschäftigten an den Hochschulen.

Deutsche Universitäten und Hochschulen sind spitze - spitze bei der Ausbeutung ihrer wissenschaftlich Beschäftigten. Mehr als die Hälfte aller akademischen Mitarbeiter unterhalb der Professorenebene ist mittlerweile mit befristeten Arbeitsverträgen mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr beschäftigt; das Verhältnis zwischen unbefristeten und befristeten Arbeitsverhältnissen ist zwischen 2005 und 2010 von 1 zu 4 auf 1 zu 8 gestiegen. Diese Zahlen präsentierte gestern die GEW in Berlin zum Auftakt ihres Kongresses »Gute Arbeit in der Wissenschaft«.

Das Problem ist nicht neu. Seit zwei Jahren beackert die GEW deshalb die Bildungspolitiker in Bund und Ländern. Der im »Templiner Manifest« im September 2010 niedergeschriebene Appell habe in der Bundespolitik Widerhall gefunden, sagte gestern das für Hochschule und Forschung verantwortliche GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller vor der Presse. »Alle Fraktionen haben mittlerweile Anträge vorgelegt, die im Wesentlichen unsere Forderungen unterstützen.« Zu diesen gehören u.a. die Umwandlung befristeter in unbefristete Anstellungen sowie verlässliche Berufsperspektiven für promovierte Wissenschaftler (sogenannte Postdocs). Auch wenn Hochschulpolitik Ländersache sei, könne der Bund durchaus steuernd eingreifen, etwa über entsprechende Kriterien bei der Exzellenzinitiative, mit der besonders gute Hochschul- und Forschungseinrichtungen gefördert werden, so Keller.

Hauptadressat sind allerdings die Länder. Und die geben sich nach Kellers Worten bislang zögerlich. Das grün-rot regierte Baden-Württemberg und die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hätten zwar die Bereitschaft signalisiert, die GEW-Forderungen umzusetzen, »aber konkrete Schritte fehlen bislang«, kritisiert Keller. Ein Hauptproblem sei, dass die Länder die Hochschulautonomie in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut hätten. Durch das neue Wissenschaftsfreiheitsgesetz des Bundes werde zudem auch die Eigenverantwortung und damit die Unabhängigkeit der außeruniversitären Forschungseinrichtungen von der Politik gestärkt.

Auf das »Templiner Manifest« hat die GEW daher gestern den »Herrschinger Kodex« folgen lassen. Diesmal sind die Hochschulen selbst die Adressaten. Keller schwebt eine Art Vereinbarung vor, in der sich die Hochschulen und Forschungseinrichtungen zur Einhaltung gewisser Mindeststandards bei der Beschäftigung des akademischen Personals verpflichten. »Die Hochschulen müssen das schon aus Eigeninteresse tun«, ist sich Keller sicher, denn: »Im Wettbewerb mit der Wirtschaft, vor allem aber mit anderen europäischen Hochschulen sind sichere Arbeitsplätze ein Vorteil«.

In der Tat ist die Situation für Doktoranden, wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrbeauftragte im europäischen Ausland deutlich besser als in Deutschland. Nach GEW-Angaben besteht etwa in Frankreich rund drei Viertel des Lehrpersonals aus festangestellten Wissenschaftlern und Professoren, in England sind es 43 Prozent, in Deutschland dagegen arbeitet gerade einmal ein Viertel auf sicheren Arbeitsstellen.

Besonders brisant ist mittlerweile die Situation bei den Doktoranden. Keller verwies gestern auf eine Untersuchung der TU Berlin aus dem Jahr 2009, wonach Promotionsstudenten selbst auf Halbtagsstellen eine wöchentliche Arbeitszeit von durchschnittlich 39 Stunden bewältigen müssen. Ein Grund: Sie sind in die akademische Lehre eingespannt. Vielfach bewältigen sie die Uni-Lehre für einen Stundenlohn von knapp 15 Euro. Für ihre eigentliche Tätigkeit, das Forschen, bleibt ihnen kaum noch Zeit. Der betroffene Personenkreis ist in den letzten 15 Jahren um 42 Prozent auf 8552 gewachsen. Im gleichen Zeitraum hat sich Zahl der Lehrbeauftragten von 41709 auf 84131 mehr als verdoppelt, ist die Zahl der Studierenden um ein Fünftel gestiegen, während die der Professoren mit knapp 40000 annähernd gleich blieb.

Dass die Politik handeln kann, wenn sie denn will, zeigt das Beispiel Österreich. Dort schließen die Hochschulen mit ihren Doktoranden sogenannte Zielvereinbarungen über Inhalt, Umfang und Leistung der Stelle. Werden die Bedingungen von den Promovierenden erfüllt, verpflichten sich die Universitäten im Gegenzug, die Postdocs mit unbefristeten Arbeitsverträgen auszustatten.

www.templiner-manifest.de; www.herrschinger-kodex.de

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